Lesekompetenz von Grundschulkindern (IGLU-Studie 2021)

Internationale Lesestudie IGLU 2021 bestätigt die Negativbefunde des IQB-Bildungstrends 2021
Jedes vierte Kind erreicht nach vier Jahren Grundschulunterricht nicht einmal den international festgelegten Mindeststandard beim Lesen, der für einen erfolgreichen Besuch weiterführender Schulen notwendig wäre. Das ist das Ergebnis der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU 2021), die am 16. Mai 2023 veröffentlicht wurde.

Es bestätigt Befunde des nationalen IQB-Bildungstrends aus dem letzten Jahr und setzt den Negativtrend der letzten 20 Jahre fort. Teilgenommen hatten 65 Staaten und Regionen, davon 4.611 Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen aus Deutschland.
Lag der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die nicht einmal das erforderliche Textverständnis aufwiesen, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre, 2001 noch bei 17 Prozent, war es 2016 bereits fast jedes fünfte Kind (19 Prozent). Jetzt ist es jede vierte Kind (25.4 Prozent). Der Anteil der im Lesen leistungsstarken Schülerinnen und Schüler ist hingegen nur noch einstellig und auf 8,3 % gesunken. (Iglu 2021; Tabelle S. 62)

IGLU_ Tabelle 3.1

Diese Zahlen sind alarmierend, weil mangelnde Lesefähigkeit und Leseverständnis die Grundlage für Lernen ist und das Risiko erhöht, die Schule ohne Abschluss zu verlassen. und keine Berufsausbildung beginnen zu können. 2016 wurde die Grenze von zwei Millionen jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss überschritten. 2020 waren es bereits 2,33 Millionen Ungelernte (15,5%). Jetzt sind es laut aktuellem Berufsbildungsbericht des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) fast 2,64 Mio. Menschen:

„Im Jahr 2021 verfügten nach den Daten des Mikrozensus 17,8 % (hochgerechnet 2,64 Mio.) der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland über keinen Berufsabschluss“ (Bildungsbericht 2023, S. 96)

Das sinkende Leistungsniveau beim Lesen wird, neben Corona, auf heterogener werdende Klassen zurückgeführt. Die „soziale Disparitäten“ in der Lesekompetenz genanten Leseschwächen bei Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sind nach wie vor höher.

Empfohlene Maßnahmen laut Studie

  • Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtszeit für Leseaktivitäten als Basis für eine verbesserte Lesekompetenz
  • Qualitätsvoller Leseunterricht für alle sowie differenzierte Förderung in homogenen Kleingruppen für Kinder mit Unterstützungsbedarf
  • Individuelle Unterstützung für Kinder mit besonderem Förderbedarf
  • Systematische individuelle Diagnostik
  • Aus- und Weiterbildung der Grundschullehrkräfte im Bereich der Lese- und Sprachförderung
  • Frühe und systematische Sprachförderung im Bildungssystem von der Kita an

Vorlesen und Bildschirmmedien

Nicht thematisiert werden der zunehmende Einsatz von Bildschirmmedien im Unterricht, die massiv gestiegenen Bildschirmnutzungszeiten von Kindern und Jugendlichen und das permanente Ablenkungspotential beim Lesen am Bildschirm. Neben deutlich mehr (Unterrichts-)Zeit für das Lesen in der Grundschule muss das konzentrierte, ungestörte Lesen von Büchern thematisiert werden.

Gründe für die Leseschwäche

  • Es wird generell weniger gelesen, mehr am Bildschirm gelesen (was nur für kurze Texte (News and Snippets) funktioniert, nicht für längere Inhalte, die man verstehen und erinnern möchte, siehe dazu: eRead-Studie und Stavanger Erklärung (Lesen Bayern, Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB)) und Englisch: Stavanger COST E-READ Stavanger Declaration).
  • Es wird immer weniger vorgelesen, weniger zusammen gelesen.
  • Eltern und Geschwister sind kein Vorbild mehr, dabei machen Kinder vieles nach, geben dem Bedeutung, was Eltern und älterer Geschwister machen.
  • Zu wenig Lesezeit in Schulen, zu wenig Wiederholung und Übung.
  • Konkurrenz durch Smartphones/Bildschirmmedien.
  • Immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen und Konzentrationsschwäche durch dysfunktionale Bildschirmmediennutzung und immer längere Bildschirmnutzungszeiten der Kinder und Jugendlichen.
  • Wechsel in der Lehrerschaft.  Älteren Kolleginnen und Kollegen legten Wert auf systematisches Üben und Wiederholen.

„Denn was wir durch Lernen zu tun fähig werden sollen, das lernen wir eben, indem wir es tun: durch Bauen werden wir Baumeister und durch Kithraspielen Kitharisten. Ebenso werden wir gerecht, indem wir gerecht handeln, besonnen durch besonnenes und tapfer durch tapferes Handeln.“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, II. Buch, übers. von Olof Gigon).

  • Wechsel von Lehrkräften zu Lernbegleitern, die sich nicht mehr verantwortlich fühlen für das Unterrichten und das Gelernte (und zum Teil selbst an Smartphone und Bildschirm sozialisiert wurden).

Abhilfe: Vorlesen und zusammen lesen

  • Mehr Lesezeit für analoge Medien in der Familie, in der Schule, in der Freizeit.
  • Eltern/Geschwister und Lehrkräfte als Vorbild.
  •  Mehr manuelles Arbeiten in der Schule: Lesen, Schreiben, Malen, Zeichnen, Werken.
  • Ausweitung der ästhetischen (sinnlichen)  Erziehung.

Denn nur wer das Lesen gelernt hat, regelmäßig übt und gerne liest, kann lesend lernen. Konzentriertes Lesen (können) ist die Grundlage für Bildungsbiographien.

Die Studie und weiterführendes Material