Digitale Werkzeuge und KI im schulischen Kontext

Vorbemerkung

In diesem kurzen Artikel kann es nicht um grundsätzliche Kritik an der „Digitalisierung“ bzw. Formierung und Steuerung neoliberaler Gesellschaften durch Anwendung digitaler Maschinen gehen. Werner Seppmann hat grundsätzliche Kritik in seinem epochalen Buch: „Kritik des Computers“ (Kassel 2017) geleistet. Er beschreibt die Formierung eines „marktkonformen Lebensstils, der Steuerung und Kontrolle durch Staat und Media-Konzerne beinhaltet, eine Formierung der Gesellschaft bis tief in die psychischen Strukturen des Individuums“ und nennt dazu Stichworte wie Selbstoptimierung und permanenter Konkurrenzvergleich, Digitalisierung sozialer Selektionsprozesse und die Dominanz technischer Rationalität.

Von Erich Goldberg, Bielefeld.

Eine weitere Perspektive liefert Andrea Komlosy (Zeitenwende. Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft, Wien 2022), die die Änderungen des kapitalistischen Wirtschaftsmodells im kybernetischen Zeitalter im Zusammenhang mit der Steuerung der Corona Krise präzise herausgearbeitet hat. Sie analysiert den Umbau der Wirtschaftsstrukturen von der von der industriellen zur kybernetischen Steuerung des Kapitalismus. „Die Technologie beruht auf digitaler Steuerung, Roboterisierung sowie neuer Verfahren zur Entwicklung neuartiger Materialien und Materialeigenschaften. Dabei ändert sich die Kommunikation zwischen Menschen sowie zwischen Mensch und Maschine, wobei die Koordination der Prozesse zunehmend von Algorithmen beherrscht wird.“ (S.119)

Eine Debatte um die Veränderung der Arbeitsprozesse durch Digitalisierung findet sich in Sozialismus.de Supplement zu Heft 9/24 / Roland Schneider/ Hasko Hüning: Zukunft der Arbeit? Mit künstlicher Intelligenz in das „Reich der Freiheit“? Arbeit und Demokratie.a/small>

Dass der Bereich der Bildung und Weiterbildung von dieser Veränderung in gleichem Umfang erfasst wird, soll im Folgenden gezeigt werden:

Es gibt verschiedene Modelle des Machine bzw. Deep Learnings, die in Anwendungen wie Chat GTP genutzt werden. Gemeinsam ist ihnen aber, dass unendliche Datenmengen verarbeitet werden und die Modelle trainiert werden müssen, es sind und bleiben Rechenoperationen. Dazu werden sie „befähigt“ durch die menschliche Eingabe von Daten (clickworker) oder indem massenhaft Daten in sogenannten „Sozialen Netzwerken“ abgegriffen und damit die Algorithmen der Modelle trainiert werden. Diese Daten eignen sich die Eigentümer der Netzwerke zum Teil ohne wissentliche Zustimmung der Nutzer an, um u.a. Persönlichkeitsprofile von Nutzern erstellen zu können, die dann mit Werbung und Einflussnahme gezielt „bespielt“ bzw. beeinflusst werden können, entsprechend ihrer Einstellungen und Präferenzen, die den Konzernen zur Verfügung stehen bzw. unachtsam zur Verfügung gestellt wurden: Kaufverhalten, Einkommen, politische Einstellung, sexuelle Präferenzen,Kommentare zu Texten, Lesegewohnheiten, besuchte Internetseiten, Einkaufsverhalten, medizinische und psychologische Fragestellungen und vieles mehr. Es versteht sich von selbst, dass diese Kenntnisse auch politisch und parteilich genutzt werden können.

Grundsätzlich gilt, dass Modelle wie ChatGPT nicht entscheiden können, was wahr oder was falsch ist. KI-Systeme funktionieren nicht nach festen Regeln, sondern nach Wahrscheinlichkeiten. Das heißt, jede Aussage eines Sprachmodells muss bzw. müsste auf Plausibilität und Richtigkeit geprüft werden, was beim Nutzer entsprechende Fachkompetenz voraussetzt.

Wie stellen sich diese Prozesse im Bildungswesen dar?

Nach dieser Vorbemerkung sollen nun einige Aspekte der Nutzung von algorithmischer Steuerung des in Deutschland noch weitgehend staatlichen Bildungswesens betrachtet werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Anwendungen als Hilfestellung für Lehrende und Lernende oder als Programme für Lernende mit gleichzeitiger Bewertung und Analyse des Lernerfolgs genutzt werden können bzw. sollen. Entscheidend für die Bewertung algorithmischer Lernprogramme ist das Verständnis von Bildung.

Entweder wird ein reduktionistisches Menschenbild zum Maßstab gemacht wird, „wenn der Mensch ausschließlich als biologischer Speicher für Informationen und als vollständig konditionierbarer Organismus betrachtet und in diesem Kontext menschliche Gehirntätigkeit auf formale Abläufe reduziert wird“ (Seppmann, 278), oder man geht von einem humanistischen Verständnis aus.

Für Bildungsprozesse wurden die Arten des Lernens durch Klaus Holzkamp anschaulich definiert: Er unterscheidet dabei zwischen defensivem und expansivem Lernen.

Defensives Lernen ist in der derzeitigen Schule die Regel. Es ist nicht gekennzeichnet durch ein Interesse des Subjekts Schüler am Unterrichtsinhalt, sondern dient in der Regel der Bewältigung einer vorgegebenen Lernanforderung der Schule, der Ausbildung etc. Der Schüler lernt, um Nachteile zu vermeiden, etwa schlechte Noten, Ärger mit den Eltern etc. Der Lernstoff wird aber nur bewältigt, es findet keine subjektiv begründete inhaltliche Auseinandersetzung statt, er bleibt äußerlich und wird nach einem Test vergessen („denken, lernen, vergessen“).

Expansives Lernen ist durch ein Interesse am Inhalt, gegebenenfalls durch im Unterricht vermittelten Stoff gekennzeichnet. Das Subjekt Schüler will aus Interesse ein Problem lösen, etwas wissen, lernen und nimmt sogar, bei entsprechender Einsicht, Mühen auf sich, weil es perspektivisch etwas davon hat. Das kann die Fähigkeit sein, eine Sprache zu sprechen oder weil es ihm einfach Spaß macht. Schon hier wird klar, dass Lernen eben nicht das Abarbeiten von vorgegebenen Stoffmassen ist, sondern, wenn es expansives Lernen sein soll, vom Subjekt gewollt sein muss. Es kann in diesem Rahmen nicht weiter erörtert werden, wieweit die staatlich organisierte Mangelverwaltung der Schulen expansives Lernen überhaupt zulässt.

Formen des defensiven Lernens lassen sich gut mit algorithmischen Lernprogrammen abarbeiten. Es kann durchaus Sinn machen, mit einem Programm Vokabeln zu lernen, solange die Daten über das Lerntempo etc. auf dem heimischen Rechner bleiben und nicht in einem Persönlichkeitsprofil landen, was von den Arbeitskraftnachfragern ggf. abgerufen bzw. gekauft werden könnten.

Gottfried Böhme hat die Nutzung von KI ohne diese Begriffe so definiert:

„Künstliche Intelligenz bricht der Schule, wie sie heute existiert, das Rückgrat. Es hat in der Geschichte der Bildungseinrichtungen noch nie eine Erfindung gegeben, die so infam die gesamte Motivationsstruktur des Lernsystems infrage gestellt hat, wie diese Atombomben-KI – um mich hier deutlich zu outen. Wir ziehen gerade eine Generation von Jugendlichen heran, die eine Zeitlang ihren Lehrern noch vorgaukeln kann, dass das, was ihnen ChatGPT oder ein anderes Programm geschenkt hat, ihre Leistung sei, und bald nicht mehr wissen, warum sich Lernen überhaupt noch lohnen soll.“ (Gottfried Böhme, ChatGPT bricht der Schule das Rückgrat, in: FAZ vom 14. September 2023)

Die derzeitige, meist staatlich organisierte Schule in Deutschland setzt trotz des Engagements vieler Lehrerinnen und Lehrer vorrangig defensives Lernen , von den Subjekten oftmals ungewollt und unbegriffen, um. Dann, und nur im defensiven Lernen ist es für Schüler sinnvoll, Chat GPT die Arbeit machen zu lassen, mit dem Nachteil, bestimmte Fähigkeiten, die auch im defensiven Lernen ausgebildet werden, nicht mehr zu lernen sondern das abgefragte Wissen „vorzugaukeln“ zu können. Der jetzige Zustand ist eher ein schleichender, weiterer Verlust von früher in Schulen angeeigneten Fähigkeiten, selbst in Form defensiven Lernens, z.B. englischer Vokabeln.

„Wenn immer mehr Aufgaben von Maschinen übernommen werden, reduziert sich auch der fachliche Austausch von Mensch zu Mensch und Kompetenzverluste werden die Folge sein. Auch in Schule und Studium werden zunehmend technische Hilfsmittel genutzt, welche Problemlösungen übernehmen, die früher von den Schülern selbst vorgenommen wurden“, führt dazu Prof. Karl-Heinz Bläsius in einem Gespräch mit Andreas von Westfalen aus.

(In dem Artikel geht es auch um Problem der Anwendung von KI, etwa bei Waffensystemen, indem auch grundsätzliche Gefahren der Anwendung dieser Systeme erörtert werden. https://www.heise.de/-10031952)

Mit zunehmender Anwendung von KI einher, geht im schulischen Kontext eine völlige Operationalisierung und Endkontextualisierung des Lernens und eine totale Überwachung einher.

Die Möglichkeiten, sich mit KI Arbeiten zu erleichtern, kann nicht bestritten werden, setzt aber immer die Beherrschung des Gegenstandes bzw. Wissensgebietes voraus, um Ergebnisse der maschinellen Berechnungen überprüfen und einordnen zu können. Wenn man mit KI Prüfungsfragen für standardisierte Prüfungen in „einfache Sprache“ übersetzen kann, dann ist das sicherlich hilfreich für Auszubildende. Es macht aber deutlich, dass in solchen Prüfungsverfahren keine komplexen Sachverhalte bearbeitet werden sollen, sondern mit standardisierten Abfragen (u.a. „multiple Choice“) vergleichbare Lernstände abgerufen werde sollen – ein Musterbeispiel für defensives Lernen in der Ausbildung.

Dr.Burkhard Chwalek charakterisiert in der Auseinandersetzung mit Apologeten der „Digitalen Bildungsrevolution“ den Sachverhalt so:

„Das zentrale Element der DB ist die weitgehende Eliminierung des pädagogischen Grundgefüges ‚Lehrkraft – Lernende – Gegenstand / Sache‘ und der sozialen Interaktion der Schülerinnen und Schüler untereinander aus dem Lehr- und Lernprozess und deren Ersetzung durch eine Mensch-Technik-Verbindung. Dabei werden Lehrkräfte auf die Rolle von Coaches reduziert und festgeschrieben, Computer (Hardware, Software, Algorithmen) übernehmen die Wissensvermittlung für die an den digitalen Endgeräten isolierten Schülerinnen und Schüler mit der Folge einer artifiziellen und sachlogisch fehlgreifenden Scheidung von Wissensaneignung und Schule als Raum sozialer Interaktion.“

Die postulierte Art der Wissensaneignung veranschaulichen einige Zitate instruktiv:

„… jeder Schüler und jeder Student [lernt] zur richtigen Zeit die richtigen Dinge auf die richtige Weise“ und weiter: „Die Software beobachtet und speichert minutiös, was, wie und in welchem Tempo ein Schüler lernt. Jede Reaktion des Nutzers, jeder Mausklick und jeder Tastenanschlag, jede richtige und jede falsche Antwort, jeder Seitenaufruf und jeder Seitenabbruch wird erfasst […]. Diese Daten werden analysiert und zur Optimierung der persönlichen Lernwege genutzt. Komplexe Algorithmen schnüren individuelle Lernpakete für jeden einzelnen Schüler, deren Inhalt und Tempo sich fortlaufend anpassen, bei Bedarf im Minutentakt.“ (Dräger, Jörg; Müller-Eiselt, Ralph, Die digitale Bildungsrevolution. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können, München 2015, S. 24-25)

Auf der Grundlage gewaltiger Datenmengen wird die gesamte Lernbiographie erfasst, so dass schließlich das Programm in der Lage sei,

„… zuverlässig die Wahrscheinlichkeiten richtiger und falscher Antworten sowie die Note, die ein Schüler am Ende eines Kurses erreichen wird“ zu berechnen. Hierin spiegelt sich das ebenso unerschütterliche wie unbegründete Vertrauen in die Objektivität und Vorhersagegenauigkeit algorithmischer Architekturen, allgemeiner gesprochen: in die Mathematisierbarkeit der Welt.“ (z. B. ebenda, S. 133–144)

Um diese Art des Lernens zu gewährleisten, müssen die Lerngegenstände in Kleinsteinheiten zerlegt, aus ihren Kontexten genommen und somit ihres Sinnes entleert werden. Die Sache und somit die Möglichkeit zur Erschließung von Welt wird herabgestuft zum Vehikel des Kompetenzerwerbs bzw. –nachweises. Der damit einhergehende Verlust der in der Auseinandersetzung mit der Sache begründeten, intrinsischen Motivation wird substituiert durch Gaming-Effekte: „Ein Letztes noch, mag es auch trivial klingen: Es muss blinken und klingen.“ (ebenda S. 86; https://die-pädagogische-wende.de/zehn-jahre-digitale-bildungsrevolution-eine-bilanz/)

Derzeit wird, gesteuert von den Konzernen und Schulbuchverlagen ein reichhaltiges Angebot für Schüler und Lehrer entwickelt, das das Lernen erleichtert und die Lehrerarbeit entlastet. Es gehört wenig Phantasie dazu, die Folgen diese Strategien zu analysieren: Auf der eine Seite ein unterfinanziertes und kaputt gespartes Schulsystem, auf der anderen Konzerne wie Bertelsmann, Schulbuchverlage und die großen US Firmen, die demnächst KI gesteuerte Lerncoachs anbieten werden, mit denen Lehrer eingespart und „individuelles Lernen“ – mit dem kompetenten Chatbot – ermöglicht werden soll.

Um an dieser Stelle nicht nur grundlegende Ablehnung zu formulieren, sei darauf hingewiesen, dass es innerhalb des Diskurses der Pädagogen und der Bildungsgewerkschaft GEW verschiedene kritische und konstruktive Auseinandersetzungen mit den neuen technischen Möglichkeiten gibt. (siehe http://www.gew.de/learning-analytics2019-pdf) Einzelne seien an dieser Stelle benannt:

Manuel Flick erarbeitet einen fortlaufenden ChatGPT-Guide. Er diskutiert durchaus auch kritische Aspekte und den unterschiedlichen Umfang des Einsatzes von KI. (https://manuelflick.notion.site/Der-ChatGPT-Guide-f-r-Lehrkr-fte-f214379898ce405089ac05555f06ba04. Siehe auch https://bobblume.de/2025/02/24/digital-unterschiedliche-dimensionen-der-betrachtung-von-ki/)

Nele Hirsch konstatiert, dass es auf diese Fragen keine fertigen und allgemeingültigen Antworten gäbe. „Lehrende und Lernende müssen diese gemeinsam und passend zum Leitbild ihrer Institution entwickeln“, formulierte die Pädagogin und Bildungsexpertin beim GEW-Bildungstag auf der Leipziger Buchmesse im Workshop „Eine KI-Strategie in der Pädagogik kollaborativ entwickeln: So kann es gehen!“ Ziel war es, den Teilnehmenden Praxisideen für Pädagogische Tage an ihren Einrichtungen mitzugeben. Joscha Falck entwickelt u.a. ein Modell für KI Kompetenzen für verschiedene Schulstufen, einschließlich der Grundschule. Auch wenn er an bestimmten Punkten kritische Anmerkungen formuliert, geht er aber davon aus, dass KI die Bildungslandschaft revolutioniere. Seine Beschäftigung mit diesen neuen Entwicklungen ist recht affin zu digitalen Anwendungen in der Schulverwaltung, wie u.a. „AI Leadership“, Schulleitung: Verstehen, anwenden, mitgestalten, reflektieren. (https://joschafalck.de/)

Der profilierteste Kritiker einer „Digitalen Bildung“ ist Prof. Ralf Lankau, Initiator des Netzwerkes: „Die pädagogische Wende“ https://die-pädagogische-wende.de/). Dort findet sich eine fundierte Kritik des gesamten IT-Bildungskontextes, einschließlich eines Maßnahmenkatalogs für eine humane und emanzipierende Bildungspolitik. Die entscheidende Frage bleibt, wer eine vernünftige Form der Nutzung bzw. Nichtnutzung digitaler Anwendungen, mindestens in der staatlich verantworteten Schule durchsetzen könnte? Gewerkschaften und Personalräte legen sich ungern mit einer digital affinen und -kenntnislosen Mitgliedschaft an. Hier hat die IT Industrie bereits Fakten gesetzt, die Influencer haben erfolgreich gearbeitet. Trotz des beachtlichen Engagements von Teilen der GEW gibt es keine konsistente Ablehnung einer digitalisierten Schule.

Klar ist jedoch, dass auch dort, wo die Digitalisierung positiv gesehen wird, es gesellschaftliche Regeln geben muss, um einen sozial gerechten Zugang zur digitalen Welt und für die unterrichtliche Nutzung von „sozialen Netzwerken“ zu ermöglichen. So fordert die GEW allgemein:

  • Recht auf eine umfassende Bildung, die ein selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt ermöglicht.
  • Recht auf den Schutz der eigenen Daten und Achtung der Privatsphäre.
  • Recht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten.
  • Recht auf nicht-kommerzielle Bildung in öffentlichen Bildungseinrichtungen, also auch das Recht auf Schutz der eigenen Daten vor kommerzieller Verwertung.
  • Recht auf „unbeobachtete Räume“, auf nicht-standardisierte und nicht-algorithmisierte Lernräume und -wege.
  • Recht auf Offenlegung der Kriterien für datafizierte Entscheidungen, die das eigene Lernen oder auch die eigene Bildungslaufbahn betreffen.
  • Recht auf Vergessenwerden. Datenspuren, die bis in die Grundschulzeit zurückreichen, dürfen für zukünftige Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht zugänglich gemacht werden.

Die Praxis in den Schulen sieht jedoch anders aus als diese Forderungen. Apple, Google und MS dominieren Anwendungen und Betriebssysteme und können Daten absaugen und Persönlichkeitsprofile generieren, die dann zur Werbung und Beeinflussung genutzt werden könnten. IT-Abteilungen der Schulträger setzen dem nichts entgegen. Lehrer und Personalräte sind häufig überarbeitet und freuen sich über neue Geräte und Apps, die scheinbar die Arbeit erleichtern. Die dahinterstehende Strategie der Konzerne und teilweise der Kultusministerien können sie nicht durchschauen. Eine überforderte und kaputt gesparte Schullandschaft, einzelne Vorzeige- oder Modellschulen mit integriertem Ganztagsangebot ändern daran nichts, treffen auf eine digital präformierte Schülerschaft. Insbesondere Korrektur „KI“ erscheint dann völlig objektiv, pädagogische Kompetenz wird an die KI abgegeben.

Die KMK hat eine 2024 eine zehnseitige „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ vorgelegt. (https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2024/2024_10_10-Handlungsempfehlung-KI.pdf) Darin heißt es:

„Für das „Lernen über KI“ ist neben einer grundlegenden informatischen Bildung – insbesondere über KI sowie über ihre Wirkungsweisen – auch die Klärung ihrer ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie in der Bildungsadministration selbst erforderlich.Hinsichtlich der Demokratiebildung und der Gefährdung demokratischer Strukturen durch KI-generierte und -verbreitete Falsch- und Desinformation gewinnt die Medienbildung und -erziehung in allen Lernbereichen an Bedeutung. Im Kontext gesellschaftlicher Teilhabe ist die Förderung von kritisch-reflexiven Kompetenzen besonders zu berücksichtigen.Die Länder werden bei künftigen Anpassungen ihrer Bildungspläne und curricularen Vorgaben aller Fächer und Schulstufen in allen Schularten informatische Kompetenzen sowie Kompetenzen für die Bildung in der digitalen Welt auch im Hinblick auf die Herausforderungen durch KI integrieren.“ (S.5)

Diese Empfehlungen können bei der derzeitigen Schulrealität nur zynisch genannt werden, weil die Voraussetzungen, um diese Ziele umsetzen zu können, nicht gegeben sind. Google, Microsoft und Co haben hier in Zusammenarbeit mit IT Abteilungen der Schulträger und Stiftungen längst Fakten geschaffen, die gerade eine kritische Reflexion ausschließen oder erschweren.

Eine umfassend und differenzierte Gegenposition findet sich in dem „Aufruf: Humane und emanzipierende Bildungspolitik vs. digitale Transformation“. (https://die-pädagogische-wende.de/aufruf-bildungspolitik-2025/)

Psychische Verfasstheit von Kindern und Jugendlichen

Wenn Jugendliche viele Stunden in der Woche online sind, hat das Folgen für ihre psychische Verfassung, die durch einen KI Schulcoach sicher verstärkt werden. Dann kann nicht mehr von sanfter Steuerung, nudging, sondern von direkter Steuerung durch Digitalkonzerne gesprochen werden. Im Moment sprechen sich die meisten Diskutanten für ein Primat der Pädagogik aus, Schule wird als sozialer Raum definiert, der auch der Erziehung dienen soll. Dessen ungeachtet schaffen Google und Co. in den Schulen Fakten.

Wolfram Grams stellt in seinem grundlegenden Artikel: „Ohne Erziehung ist alle Bildung nichts“, fest: „Im Prozess des Bildens und Erziehens spielen menschliche Beziehungen, Bindungen und Gefühle eine zentrale Rolle. Ohne sie ist Lernen als aktive Aneignung der Welt in lebendigen, zwischenmenschlichen Beziehungen nur eingeschränkt möglich. Er führt dann weiter die Verschränkungen der biologischen, psychischen und sozialen Aneignung aus, die Grundlage des Aneignungsprozesses sind. Wie schon oben angedeutet ist Schule eine organisierte Reduktion des Aneignungsprozesses unter bestimmten historischen Bedingungen.

Werden nur diese Beziehungen durch „maschinelles Lehren und Lernen“ weiter enthumanisiert, sind die Folgen für die psychische Deformation von Kindern und Jugendlichen dramatisch. (vgl. Vorgänge Heft 3-4, 2024 S.6-7)

Diese Deformationen sind auf mehreren Ebenen schon in der Grundschule nachweisbar. Gertraud Teuchert-Noodt und Manfred Spitzer haben die hirnphysiologischen Verheerungen durch frühen Mediengebrauch nachvollziehbar aufgewiesen. Gertraud Teuchert Noodt spricht von einem Supergau der kindlichen Hirnentwicklung durch frühkindlichen digitalen Mediengebrauch. Manfred Spitzer hat schon 2012 grundlegende Mechanismen digitaler Verbildung aufgezeigt:
„Die Aneignung von wirklichem Wissen erfolgt weder mittels Surfen oder Skimmen sondern durch die aktive Auseinandersetzung, das geistige Hin- und Her-Wälzen und immer-wieder-Durchkneten, Infragestellen, Analysieren und Neusynthetisieren von Inhalten.“ (Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. München 2014, S. 214)

Ästhetische und verhaltensprägende Maßstäbe werden durch Influencer gesetzt, soziale Kontakte enthumanisiert, Mobbing und Doxxing sind integraler Bestandteil der Sozialbeziehungen von Kindern und Jugendlichen in einer digitalisierten Welt. Die Folgen der Entsozialisierung bzw. Entzivilisierung (Seppmann) können im Verhalten von Kindern und Jugendlichen studiert werden: Sie sind vereinzelt, unglaublichem Druck ausgesetzt, auf kurze Reize und Belohnungsimpulse eingestellt, verlieren im schlimmsten Fall den Bezug zur Realität und bilden nicht die Fähigkeiten aus, die von Arbeitskraftkäufern verlangt werden. Grundsätzlich ändert sich ihre Wahrnehmungserfahrung durch den Dauerkonsum von Bildern. Ohne Übertreibung sollte noch auf einen anderen Effekt der Digitalisierung hingewiesen werden. Gute Gamer können allerdings ihre Fähigkeiten beim Einsatz von Drohnen einsetzen, die Handlungsweisen beim Gamen und echten Töten mittels Drohnen sind am PC gleich.

Auf der diesjährigen Digitalkonferenz re:publica erklärte der deutsche Spieleverband GAME, dass mittlerweile sechs von zehn Computernutzern Videospiele spielen. Darin sehe man eine Chance für die Bildungsarbeit. Tatsächlich machen sich das auch immer mehr Initiativen und Bildungsstätten zunutze und investieren in die Entwicklung von „Serious Games“, um junge Menschen zu erreichen und demokratiefördernde Werte zu vermitteln. Der Effekt, so gut gemeint solche Initiativen auch sind,dürfte aber überschaubar sein. Zu konstatieren ist, dass gegen eine milliardenschwere, marktwirtschaftliche, ggf. auch staatsmonopolistische IT Manipulations- , Steuerungs- und Überwachungsgesellschaft schwer anzukommen wird. Deren Planungen für den Bildungsbereich gehen sogar schon einen Schritt weiter, nämlich in Richtung der vollständigen Ersetzung menschlicher Lehrkräfte. Schulen sollen nach dem Vorbild digitaler Plattformen umgebaut werden. (vgl. Dr. Ekkehard Thümler:Von der Fabrik zur Plattform. Heidelberg 2024)

Da es „digitale Bildung“ nicht gibt, sondern nur Bildung mit digitalen Medien ist für einen erfolgreichen, reflexiven Lernprozess die kritische Auseinandersetzung mit dem medial präsentiertem Unterrichtsgegenstand entscheidend. Die Nutzung von Tablets ist eher disfunktional, da z.B. das händische Schreiben Hirnareale trainiert, das manuelle Einstellen von Kameras erst eine Komposition ermöglicht, was bei der smartphone Fotografie der Algorithmus übernimmt,also einen Verlust von Fähigkeiten beinhaltet. Für Lehrer geht es also um den richtigen Einsatz von Medien in einem didaktisch-methodisch begründeten Interaktionsprozess mit und unter den Schülern.

Ein neuer Bauplan für die Schulen der digitalen Welt

Armin Grunwald, Professor für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie und Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestags, sprach schon 2019 von der „Gretchenfrage“, die zu stellen sei, und forderte zur reflektierten Gegenwehr gegen Machtbestrebungen auf: „Wir müssen ernsthaft die Frage stellen: Wer sind die Macher der KI, wer verbreitet die Erzählungen und wer will hier eigentlich seine Werte und Interessen hinter einem vermeintlichen Technikdeterminismus verstecken? Denn auch in der Welt mit KI dient Technikdeterminismus einer Ideologie der Mächtigen. Er verschleiert, dass jede KI gemacht wird, von Menschen in Unternehmen und Geheimdiensten, nach deren Interessen, Werten und Weltanschauungen.“ (Armin Grunwald: Gretchenfrage 4.0, in: SZ vom 26.12.2019)

Mit anderen Worten: Die Anwendung von KI im schulischen Kontext, die Digitalisierung von Bildung, dient unter den Bedingungen der gegenwärtigen Verfasstheit von Schule und Bildungseinrichtungen nicht der Technikbeherrschung oder der Wissensaneignung, sondern der „Arbeitsfähigmachung“ der Lernenden, ist damit also Teil der Auseinandersetzung.

Alternativen gibt es, wie Schleswig Holstein beweist: Windows wird als Betriebssystem abgeschafft und Libre Office als open source Programm in der Verwaltung eingeführt. Dieser Weg sollte offensiv unterstützt werden. Hier sind engagierte Gewerkschafter und Personalräte gefragt. Sie stehen jedoch vor der Herausforderung, sich den „Verlockungen“ der Medienkonzerne, die scheinbar einfache und überzeugende Lösungen in die Schulen und Bildungseinrichtungen implementieren wollen, sachkompetent entgegenstellen zu müssen.
Daher kommen engagierte Pädagogen nicht daran vorbei, einen eigenen Forderungskatalog für eine humanistisch fundierte Medienerziehung zu entwickeln. Darin muss es um die altersgemäße Reflexion der Funktionsweisen und gesellschaftliche Folgen des Einsatzes von KI gehen.

Durchdachte Konzepte finden sich hier:

Ralf Lankau (2017) Kein Mensch lernt digital. Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht. Weinheim, Basel

Ders. (2017): Autonom und mündig am Touchscreen.Für eine konstruktive Medienarbeit in der Schule. Weinheim, Basel

Thomas Hickfang: Unterricht mit digitalen Medien als Prozess des expansive Lernens. Das Modell einer interessengeleiteten Mediendidaktik. München 2020

Digitale Öffentlichkeit und Affekte. Eine medienpädagogische Spurensuche. In: Sandra Hofhues, Julia Schütz (Hg.) Plattformen für Bildung. Bielefeld. S227ff. Download unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-7516-0/plattformen-fuer-bildung/

Handhabbare Hilfestellung finden Schulpraktiker auch unter https://unblackthebox.org/