KI in der Schule. Lernhilfe oder falsche Versprechen?

Eine Bestandsaufnahme nach drei Jahren KI-Hype durch Manfred Spitzer

Im November 2022 wurde ChatGPT publiziert, die erste von mittlerweile zig tausend Applikationen zur „generativen Künstlichen Intelligenz“ (genAI). Diese Tools simulieren menschliche Leistungen wie das Schreiben von Texten, Gestalten von Grafiken oder Videos. Die Technik an sich ist alt, erste Bots wie „Eliza“ von Joseph Weizenbaum wurden Mitte der 1960er Jahre publiziert. Aber das Silicon Valley braucht eine neue „cash cow“. KI liefere der Tech-Branche „endlich wieder eine Großerzählung, der zufolge die goldene Zukunft von Tech-Unternehmen geschaffen“ werde (Brühl 2023).

Die Heilsversprechen aus dem Silicon Valley kennt man. Sie sind Teil des Spiels von Venture Capital und fiktiven Marktprognosen, um ebenso fiktive Werte an den Börsen. Ein Großteil der StartUps verschwindet sang- und klanglos, samt der investierten Geldern. Risiko-Kapital eben. Die Kontroversen über KI decken nicht nur Heilsversprechen und den Weltuntergang ab, sondern werden sowohl von Investitionsversprechen in dreistelliger Milliardenhöhe wie vor Warnungen begleitet, dass auch diese KI-Blase platzen werde wie frühere KI-Hypes, denen regelmäßig „KI-Winter“ folgten – Phasen, in denen weder Geld noch andere Ressourcen in diese Variante der automatisierten Datenverarbeitung investiert wurden.

KI als Game Changer für Schulen

Umso erstaunlicher ist es, dass auch bei diesem Hype (und absehbaren Crash) Lehrkräfte, Schulträger und Bildungsverantwortliche mitmischen und diese Tools als notwendige Applikationen Tool für Schule und Unterricht reklamieren. Diese mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien belegte Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität untersucht Manfred Spitzer in seinem Beitrag zu „KI in der Schule. Lern-Verstärker oder Betrugs-Turbo?“, wie gewohnt mit validen Quellen (in: Nervenheilkunde 2025; 44, S. 745-755).

Nach einer Begriffsklärung zu Sprachmodellen und Begriffen (kognitive Aktivierung, Elaboration, Kollaboration) untersucht er die konkreten Folgen des Einsatzes von KI und stellt sie den positive Erwartungen aus dem Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK 2023) der Kultusministerkonferenz (KM) gegenüber. Das Ergebnis:

  • „Ad 1) Kognitive Aktivierung. Wenn Schüler ChatGPT zum Erstellen von Texten verwenden, dann lagern sie das Nachdenken und das Schreiben aus. Dies ist das genaue Gegenteil von kognitiver Aktivierung. (…)
  • (Ad 2) Elaboration. Zum Potenzial bei der Förderung der Elaboration kommentieren die Autoren [der SWK; rl] selbst zwei Seiten später: „Auch wenn LLM in einer Interaktion mit entsprechenden Prompts scheinbar in die Rolle eines Lernbegleiters versetzt werden können, ist zu bedenken, dass sie dabei bisher weder individuelle Lernende, ihre Kompetenzen und Misskonzepte modellieren und die curricularen Lernziele eines Schulfachs kennen noch die pädagogischen und fachdidaktischen Schritte zum Erreichen dieser Ziele. (…)
  • Auch wenn die Behauptung, KI fördere die Kreativität, vielfach wiederholt wird, wird sie dadurch nicht richtig. Belastbaren empirische Daten, die zeigen würden, dass KI bei Schülern die Kreativität fördert, fehlen ohnehin völlig. (…)
  • (Ad 3) Kollaboration. Dass KI zu mehr Zusammenarbeit unter den Schülern beiträgt, wird abermals behauptet aber nirgends begründet oder gar mit Daten belegt. (…) Weiterhin wird indirekt immer wieder zugegeben, dass die Nutzung von KI den menschlichen Kontakt reduziert: Denn wenn KI in der „Rolle als Lernbegleiter“ eingesetzt wird, dann ersetzt eine Maschine einen „menschlichen Lernbegleiter“, sprich: den Lehrer.“ (S. 746)

Richtig erkannt von SWK und KMK hingegen ist die Tatsache, dass sich Prüfungskulturen ändern müssen, weil schon heute niemand mehr KI-generierte Texte, Grafiken und Präsentationen von computergenerierten Artefakten unterscheiden kann – allenfalls an der Phantasielosigkeit, weil Bots eben nur auf Basis vorhandenen Materials rekombinieren. .

Selber formulieren statt Generiertes kopieren

Spitzer warnt eindringlich vor dem zu frühen Einsatz von ChatBots. Während das SWK-Papier eine zunehmende Nutzung zum Ende der Sekundarstufe 1 empfiehlt, verweist Spitzer auf die immer schlechteren Grad der Alphabetisierung, etwa dem IQB-Bildungsbericht 2022 und die Tatsache, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler nicht einmal mehr die Mindeststandrads im Fach Deutsch erreichen:

„Das wirklich kreative, reflektierte Schreiben beginnt bestenfalls etwa in diesem Alter. Daher ist es wichtig, dass in der Mittel- und Oberstufe viel geschrieben wird. Jeder, der schon einmal versucht hat, einen längeren Gedanken klar und verständlich aufzuschreiben, weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist. Weil der bloße (vielleicht bildhafte), noch nicht verschriftlichte Gedanke eben nicht das Gleiche ist wie der aufgeschriebene Gedanke. Eine lange Tradition des Nachdenkens über Schrift und Schreiben hat sehr klar herausgearbeitet, dass Literalität mehr ist als bloße Oralität, d. h. dass das Aufschreiben selbst eine wichtige Form des Denkens ist. (Ong 1987). Fußball oder Saxofon spielen lernt man ja auch nicht, indem man darüber redet, sondern indem man es tut.“ (S. 748)

Interessanterweise sind es die Schülerinnen und Schüler selbst, die registrieren, dass sie beim Einsatz solcher Tools zwar schnell zu „Ergebnissen“ kommen, aber dabei nichts lernen und nicht nur die Lehrkräfte, sondern sich selbst täuschen. Sie verlernen zudem, unter Zeitdruck zu reagieren und sozial zu interagieren, weil man ja jemanden fragen muss, wenn man z.B. nicht gemachte Hausaufgaben noch schnell vor der Stunde abschreiben will.

Auch die andere Seite, Lehrende und Bildungseinrichtungen, nimmt Spitzer in den Blick und beschreibt das wechselseitige Aufrüsten mit KI-Bots und KI-Detektoren (Software, um KI-generierte Artefakte zu erkennen). Aber letztlich sind das Begleitschäden, die den Wesenskern von Schule und Hochschule unterminieren, wie es ein Student formuliert:

„Studenten wollen nicht betrügen; sie wollen sicherlich nicht den Wert einer Ausbildung untergraben, die sie oder ihre Familie ein kleines Vermögen kostet. Aber wenn man sieben Hausarbeiten in fünf Tagen abgeben muss und KI die Arbeit für den Preis einer großen Pizza um das Zehnfache beschleunigen könnte, was soll man dann tun?“ (S. 752)

Die Antworten sind für technikaffine Fortschrittsgläubige ein Graus und sicher ein Rückschritt in die analoge Vorzeit. Für Lehrende, die Wert darauf legen, dass Lernende etwas verstanden haben haben und selbst formulieren können, heißen die Lösungen: mündliche Prüfungen und handschriftliche Klausuren ohne technische Hilfsmittel. Nur Stift und Papier und der eigene Verstand („brain only“) genügen, wenn man sich vorbereitet. Das kann (und sollte) man schon vor den Prüfungen üben statt das eigenständige Denken an Suchmaschinen zu delegieren (die heute oft „fertige Antworten“ vor den Suchergebnissen anzeigen) oder das Denken komplett an Sprachbots zu delegieren. Das könne man zwar machen, zitiert Spitzer einen Professor für Politikwissenschaft der Tulane University, aber das wäre so, „als würde man ins Fitnessstudio gehen und Roboter die Gewichte für sich stemmen lassen“ Faulheit und Bequemlichkeit sind zwar menschlich (das gilt für heutig Schülergenerationen genau so wie für frühere), aber die Frage ist doch, warum man in die Schule geht und selbst lernt:

„Wenn die Antwort „eine breite und tiefe Grundbildung bis etwa zum 20. Lebensjahr“ lautet, weil diese die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben ist und die beste Vorbeugung gegenüber Demenz im Alter darstellt, dann ist klar, dass sich Schüler nicht auf äußerliche gute Noten ohne jeglichen Aufwand konzentrieren sollten, sondern auf maximale Gehirnbenutzung mit dadurch verursachtem maximalen Gehirntraining. Alles, was dem Gehirntraining schadet, hätte dann automatisch nichts in unseren Bildungseinrichtungen verloren.“ (ebda.)

Das wäre ein womöglich provokativer, dafür umso wichtigerer Ansatz für eine sachliche Diskussion zwischen kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler , Eltern, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern sowie Bildungsverantwortlichen, die nicht länger den immer gleichen Versprechen der IT-Wirtschaft folgen (wollen). Aber das ist noch ein langer Weg. Spitzer berichtet am Ende seines Beitrags von einer Konferenz am 28.8.2025 in Dresden. Der Tenor aller Vorträge außer seinem Beitrag sei gewesen…

„… dass die Zukunft der Schulen in mehr digitale Medien und vor allem in KI besteht. Dass die Vorträge allesamt frei von jeglichen Daten, Fakten und Ergebnissen empirischer Untersuchungen waren, schien dabei entweder niemand zu bemerken oder zumindest niemand zu stören. Im Lichte der hier vorgestellten Erkenntnisse ist mehr kritisches Denken zu fordern. Sind wir wirklich schon soweit, dass auch unsere Entscheidungsträger schon einen Verlust kritischen Denkens sichtbar werden lassen?“ (S. 754)

Diese Frage, sollten auch Sie als Leserin oder Leser ihren Landtags- und Bundestagsabgeordneten stellen, denn die Bildungsverantwortlichen …

„…tragen die Verantwortung gegenüber der nächsten Generation für die Folgen, weshalb ihre Entscheidungen auf der Grundlage wissenschaftlich gesicherter Fakten, empirischer Daten und kritischem Nachdenken getroffen werden sollten. Weil KI nach allem was wir bisher wissen dem Lernen schadet und Schüler zum Vortäuschen eigener Leistungen verführt, also Betrug fördert, darf KI an Schulen nicht eingesetzt werden. Schulen müssen KI thematisieren und deren Missbrauch verhindern.“ (S. 755)

Literatur und Quellen

Brühl, Jannis (2023a). Ein Jahr Chat-GPT: Keine Hoffnung auf Luxuskommunismus : in: SZ vom 30.11.2023, S. 18.Online unter dem Titel: Hinter Chat-GPT steht eine Revolution (7.11.2025)

Ong WJ (1982/2012) Orality and Literacy. The Technologizing of the World, 30th Anniversary Edition. Routledge, Taylor & Francis Group,London, New York

Spitzer, Manfred (2025) KI in der Schule. Lern-Verstärker oder Betrugs-Turbo? in: Nervenheilkunde 2025; 44: 745–755, DOI 10.1055/a-2628-5810; ISSN 0722-1541

SWK (2023) Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz) (2023): Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem. Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz