Zielgenaue Reformen ersparen pauschale Quotierungen.
Prof. Dr. Rainer Dollase
Wir haben uns alle daran gewöhnen müssen: alle Jahre wieder wird eine uralte bildungspolitische Idee, längst bis zur Unkenntlichkeit diskursiv ausgelutscht, wieder hervorgekramt und irgend jemand staunt darüber, weil er – in Unkenntnis der langen Vorgeschichte – tatsächlich zu glauben scheint, dass es eine neue Idee wäre. Jetzt also Karin Prien, Bundesbildungsministerin – von der ich fest glaube, dass sie nicht glaubt ,die Idee wäre neu – ihre Botschaft: eine Migrantenquote in Schulklassen könnte helfen, die Leistungen aller, Autochtonen wie Allochtonen (= die politisch korrekten Bezeichnungen für Ausländer und Einheimische) zu verbessern.
Die Idee ist uralt – spätestens seit Joan Henning Criswell 1942 „The saturation point as a sociometric concept“ bekannt. Krisen sollen sich einstellen bei einer Quote von 10% , 30% Fremden und dann wieder bei 50%. Jeder und jede, die/der Minderheiten in eine Mehrheit einfädeln möchte, denkt irgendwann an eine Quotierung. Eine schlichte, banal richtige Ansicht. Was wurde nicht alles diskutiert, um eine Quotierung mit dem Ziel der Durchmischung aller Diversitäten in einer modernen Industriegesellschaft zu erreichen. In einem Suhrkamp Band aus dem Jahre 1998 mit dem Titel „Krise der Städte“ (herausgegeben von Heitmeyer, Dollase und Backes) könnten Sie nachlesen, was auch heute wieder diskutiert wird – Deja-vu garantiert – aber auch Überraschungen.
Das Wichtigste zuerst: natürlich hat Karin Prien recht, theoretisch. Aber Theorie ist heute auch schon differenzierter. Wir müssen das Urteil konditional differenzieren: wenn der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die kein Deutsch verstehen, in einer Klasse größer wird, leidet darunter der maximal erzielbare Lerngewinn, d.h. die schulische Durchschnittsleistung sinkt. Weil man – im gemeinsamen Lernen – Humanressourcen und materielle Ressourcen abzwacken muss, um das Defizit – kein Deutsch verstehen – abzubauen. Der Unterricht kann nur deutlich langsamer im Stoff fortschreiten. Aber nur pauschal zu sagen „Ausländerquote“ begrenzen ist ungenau – viele der hier lebenden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sprechen ein hervorragendes Deutsch. Basta.
Auch den NDH Anteil zu quotieren (NDH =Nicht-Deutsche Herkunftssprache) wäre unscharf – auch unter diesen kann je Klasse ein großer Teil ganz gut Deutsch sprechen und verstehen und folglich dem Unterricht folgen. Dass viele davon später immer noch schlechter sind (die PISA Ergebnisse belegen dies ja laufend) ist nicht weiter schlimm – das liegt auch am mitgeschleppten (sozioökonomischen) Bildungsstatus mancher Zugewanderter. Der Status kann auch hoch sein- ist – wenn die Zugewanderten aber aus bestimmten Gegenden kommen – auch sehr niedrig. So etwas kann man nicht in einer Generation wegfördernd – das wäre zuviel von Erziehung und Schule verlangt (vgl. Dollase Grenzen der Erziehung, 1984).
Ebenso unfertig gedacht ist ein Satz wie der folgende: “Gute Bildung und Integration gelingt durch gezielte Förderung, nicht durch Ausgrenzung.“ Um nicht Deutsch sprechende Kinder und Jugendliche „gezielt“ (auch kleine Fortschritte sind gut) fördern zu können – muss man sie aus dem normalen Unterricht herausnehmen. Und dann quält man die „gemeinsames Lernen“- Fetischisten – pfui, das ist „keine Förderung sondern Ausgrenzung“. Fazit: lauter Dilemmata drohen. Aber- so ist es nicht.
Blicken wir mal zurück: Das sog. „Krefelder Modell“ (das gab es wirklich) sah – früher, ihr jungen mitlesenden Menschen unter 80 Jahren – ein „Bussing“ vor -(slang Wort für Busfahren)- d.h. Schüler und Schülerinnen wurden per Bus in der Stadt so auf die Schulen verteilt, dass sich eine ungefähre Gleichverteilung der nicht deutsch sprechenden Schülerschaft erreichen ließ. Nachteile – teurer als gedacht, Eltern (auch jene der nicht deutsch sprechenden Kinder und Jugendlichen) sind oft dagegen, weil eine Schule in der Nachbarschaft massive Vorteile für Familien- und Schulorganisation hat. Und – natürlich ist in den Schulen der „besseren Gesellschaft“ die per Bus anreisende Schülerschaft keineswegs beliebt. Man wird ja wohl noch unter sich bleiben dürfen…. Das Krefelder Modell gibt es heute nicht mehr in dieser Form.
Wie kann man diese und andere Umzugsideen bewerten? Für Josef Kraus sind Zwangsumsiedlungen zwecks Durchmischung, auch das Bussing, ideologische Eingriffe wie in totalitären Saaten – darüber gibt es auch keine eigentliche Diskussion – hier werden Freiheitsrechte (Freizügigkeit, Wohnungswahl, Freiheit der Schulwahl) unserer Demokratie mit Füßen getreten. Auch Milliarden in den sozialen Wohnungsbau werden nicht viel helfen die „sozialräumliche Polarisierung“ (Jens Dangschat) zu verhindern.
Und was ist überraschend? Die Zugewanderten suchen die Nähe anderer Zugewanderter mit ähnlichem Schicksal gemäß dem Prinzip „gleich zu gleich gesellt sich gern“. Simulationsstudien zeigten, dass nur bei mäßiger Gültigkeit des Prinzips der Ähnlichkeitsgesellung auch auf einem neutralen Wohnungsmarkt Schwerpunktstadtteile ähnlicher Sprache und Kultur entstehen. Eine Strukturierung in homogene Subgruppen ist unausweichlich.
Natürlich gibt es Lösungen, die sich mit der Berechnung der Sozialindizes für jede Schule angebahnt haben – und die nun die „sozialräumliche“ Homogenisierung als Vorteil nutzen. Ein kleiner Umweg über den Sozialindex einer Schule ist hier nötig.
Am Beispiel NRW sei kurz an die Bildung der Sozialindizes erinnert Jede Schule bekommt einen Sozialindex. Darin werden folgende Kriterien, deren negative Auswirkung empirisch ermittelt wurden, verwendet:
- Anteil der Schülerinnen und Schüler, deren Familien Sozialhilfe beziehen
- Anteil der Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Familiensprache
- Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
- Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache.
Sie können nun im Netz nachlesen (https://www.schulministerium.nrw/schulsozialindex), welchen Sozialindex die Schule Ihrer Wahl hat – die Indizes haben Werte von 1= niedrigste Belastung bis 9=höchste Belastung. Die Überraschung: die meisten Schulen – (z.B. 76% der Grundschulen) haben Sozialindizes von 1 bis 5 – sind also keineswegs dramatisch belastet, brauchen also keine Quote – Beim Sozialindex 9 gibt es gerade mal knapp 5% der Grundschulen. (Nur nebenbei: Unterrichten ist eine schwere Kunst, deswegen wird es auch Klagen aus Schulen mit Sozialindex 1 geben.)
Wieso nun ist der Sozialindex eine Alternative zur Quotenlösung? Weil er zwei Maßnahmen möglich macht:
- Eine zielgenaue Ressourcenzuweisung von Personal, Raum und Material (das neue Startchancenprogramm könnte hier schon helfen) – Sozialindex 6 – 9 Schulen erhalten parallel zum Index mehr Personal, Raum und mehr Material. Das wird helfen, die gröbsten Belastungen zu reduzieren.
- Da es sich in Wirklichkeit um eine Minderheit von Schulen handelt, die überbordende Anteile von nicht Deutsch sprechenden Schülerinnen und Schülern ertragen müssen – können dort abweichende schulische Regelungen toleriert werden. Beispiel: eine Schule mit Sozialindex 9 hat das 4+1 Modell erfunden, durchgeführt und hat es auch erfolgreich von Außenstehenden evaluieren lassen. Prinzip: man schafft das Sitzenbleiben und die Eingangsstufe ab, dafür bleiben Kinder mit sprachlichen Defiziten wegen der Zeitaufwendigkeit der nachholenden Sprachförderung ein Jahr länger in der Grundschule (Nein – es gab keine Probleme mit Eltern, auch nicht mit den Schülern, erst recht nicht mit den Lehrkräften).
Zwei Lösungen, die mit der Zielgenauigkeit der möglichen Reformen zusammenhängen – der handfeste Sozialindex war die Voraussetzung. Eine pauschale Quotierung ist überhaupt nicht nötig – Ende der Hysterie.
Es ist also für den Ausgleich von Sprachdefiziten keine Durchmischung von Allochthonen und Autochthonen, keine Kinderlandverschickung, keine Zwangsumsiedlungen nötig – sondern: da wo es Probleme gibt, wird investiert, werden Extrakurse zum Deutschlernen angeboten, es dauert dort aber die Schulzeit u.U. länger. Muß ja nicht für alle gelten – nur für die, die es nötig haben. Eine uralte Grundidee – alle Defizite können mit der Lernzeitverlängerung kompensiert werden. Stammt von dem Amerikaner J.B. Carroll (1916 – 2003)
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