Zum reformkritischen Beitrag der NZZ am Sonntag vom 23. Juni 2024
Von Carl Bossard
Die Schweizer Schulen haben einen Wirbelwind an Reformen hinter sich. Sie wurden in den letzten Jahren radikal umgebaut, verstärkt seit dem Pisa-Schock 20000 – alles mit dem Ziel, den Unterricht effizienter zu ‘machen’. Doch im internationalen Ranking PISA sinkt die Schweiz kontinuierlich. Die Klagen über Defizite in den Grundkompetenzen werden lauter.
Nun verstärkt sich auch der parteipolitische Widerstand. «Schweizer Schule am Anschlag» lautet der Befund der Schweizer «FDP. Die Liberalen». Die Partei fordert ein «Zurück zum Bildungsauftrag». Sie will die Fremdsprachen aus der Primarschule verbannen und die integrative Schule abschaffen.
Eine kurze Vorgeschichte
Mit enormem Aufwand wurde in den letzten 20 Jahren an der Schweizer Primarschule herumgeschraubt: altersdurchmischtes Lernen AdL, Individualisierung der Lernprozesse, selbstorientiertes Lernen SOL sowie offene Lehr- und Lernformen, zwei frühe Fremdsprachen, Integration und Inklusion, Qualitätsmanagement und geleitete Schulen, Digitalisierung und ein 470-seitiger Lehrplan 21 mit 363 Kompetenzen und 2304 Kompetenzstufen – so heissen einige Stichworte. Das Schweizer Schulsystem kannte nur eines: Addition. Doch wer addiert, muss auch reduzieren. Das Üben und Automatisieren wurden vernachlässigt; die Zeit fürs Festigen fehlte. Die Folgen sind bekannt: schwindende Lernleistungen in den kulturellen Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen. Dagegen wehrt sich die FDP in ihrem Positionspapier.
«Zurück zum Kernauftrag!»
Die NZZ nahm die Kritik auf und ordnete ein: Der ganzseitige Kommentar in der NZZ am Sonntag zum Versagen der Bildungsvordenker in der Schweiz lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: «Die Vordenker der Bildung und ihr Versagen» lautet der Titel. Eine derart deutliche publizistische Abrechnung mit den Bildungsverantwortlichen kommt überraschend. Erstaunlicherweise setzt der Autor den Hebel zuerst beim gescheiterten Mehrsprachenkonzept der Schweizer Primarschule an (Englisch ab der zweiten oder dritten Klasse, zweite Landessprache ab der fünften Primarklasse). Es dient ihm dazu, die Verantwortlichen an den Pädagogischen Hochschulen direkt anzupeilen. Die andern grossen Kritikpunkte im Beitrag (gescheiterte Integration und überladener Lehrplan) werden etwas kürzer behandelt.
«Zurück zum Kernauftrag!» – so der parteipolitische und publizistische Befund.
René Donzé (2024a) Die Vordenker der Bildung und ihr Versagen. Der Unmut über die Schule wächst. Der politische Widerstand gegen Reformen nimmt zu. Das hat einiges mit einer ideologisierten Wissenschaft zu tun (NZZ am Sonntag 23.06.2024, S. 10)
Kommentar
René Donzé (2024b) Jetzt geht der Kampf um die Schule erst richtig los. Die FDP wechselt ins Lager der Schulreform-Gegner.Damit kommt es zu einer neuen bürgerlichen Allianz.In: NZZ am Sonntag, 26.6.2024, S. 1
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