Digitaler Faschismus ist keine Dystopie, sondern eine Realität im Werden

Rainer Mühlhoff (2025) Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus Wohin führt die totale Digitalisierung? Diese Frage stellt Prof. Rainer Mühlhoff (Mathematiker, assoziiertes Mitglied sowohl am Einstein Center Digital Future wie am und Weizenbaum-Institut, Berlin) nicht als Technikpessimist, sondern als Philosoph, der hinsieht, wo andere mit Fortschrittsnarrativen blenden. Sein Buch trägt einen Titel, der provoziert – „Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus“ – und doch ist es alles andere als eine Verschwörungstheorie. Es ist eine präzise, faktenbasierte Analyse.

Von Peter Hensinger

Mühlhoff zeigt am Beispiel der USA, wie sich die Versprechen des Silicon Valley in politische Macht verwandeln. Wie Donald Trump mithilfe digitaler Profile den Staatsapparat umbauen konnte, Loyalität über Algorithmen, gepaart mit gewalttätiger Repression organisiert, die Opposition schwächte – und das im Schulterschluss mit den Tech-Konzernen, die längst mehr über Bürger wissen als der Staat selbst. KI, Daten und Plattformen: Sie bilden das Rückgrat einer neuen Form der Herrschaft – kühl, effizient, entmenschlicht. Mühlhoffs Grundthese:

„Das zentrale Kennzeichen der neuen faschistischen Kräfte besteht in dem Bestreben, die spezifischen Möglichkeiten von Datenanalyse und KI-Technologie zu nutzen, um den Rechsstaat und die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schwächen und durch ein schlankes, auf Automatisierung und Präemption (also algorithmische Vorhersage und Vorwegnahme) basierendes Staatswesen zu ersetzen (S.11).“ Dies gelinge, „weil bestimmte technologische Logiken mit autoritären, menschenverachtenden und antidemokratischen Ideologien kompatibel sind (S.12)“, denn es sei einer der Hauptzwecke der KI, „Menschen automatisiert zu sortieren und in Kategorien einzuteilen (S. 136).“

Ralf Lankau weist in seiner neuen Analyse „Bildungs-TÜV statt Pädagogik“ nach, dass dies die Ideologie der Vermessung und Konditionierung ist, die hinter der Digitalisierung der Bildung steht. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgelegten „selbst-adaptiven, KI-gestützten Lernsysteme“ bedeuten autonomes Lernen ohne Lehrer mit KI-Programmen, die sich automatisch den Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler anpassen, Fehler zurückmelden und Lernangebote machen. Die Algorithmen der Tech-Konzerne steuern den Lernprozess.Der Schulsoziologe Prof. Tim Engartner (Uni Köln) stellt in seiner Analyse für die Rosa Luxemburg Stiftung fest,

„dass Bund und Länder den Digitalkonzernen mit dem … «Digital-Pakt Schule» ausgesprochen lukrative Absatzmärkte geschaffen haben. Es wird deutlich, dass Google, Apple, Microsoft und Samsung vergleichsweise wenig Widerstände auf dem Weg in die Klassenzimmer zu überwinden hatten“ (Engartner 2020).

Bereits 2018 analysierte Peter Hensinger im Artikel „Die Ideologie der Digitalisierung. Auf dem Weg ins Digi-tal: Der Hype der digitalen Selbstentmündigung und einige Auswirkungen auf die Psyche“ diesen totalitären Kern der digitalen Bildungsreform. Ihre industriegetriebene Historie analysiert unser neuer Überblick Nr. 9: „Digitale Bildung – Ausweg aus der Bildungskatastrophe?

Die USA sind nicht weit weg! Auch in Europa wird das Trump´sche Drehbuch bereits eingeübt. Wenn rechtspopulistische Parteien von „digitaler Souveränität“ sprechen, meinen sie Kontrolle. Wenn die Bundesregierung Bürger- oder Schüler-IDs plant, schafft sie die Infrastruktur für den gläsernen Bürger, seine totale Nachverfolgbarkeit und Überwachung. Der Chaos Computer Club kommentiert den Koalitionsvertrag der Bundesregierung:

„In der Folge liefert das Papier ein Diktaturbesteck, schlüsselfertig und maßgeschneidert. Die Folgeregierung leckt sich schon die repressionsfreudigen Klauen.“

Doch, so Mühlhoff, genau so beginnt der neue Faschismus: nicht mit Marschmusik, sondern mit digitalisierter Verwaltung, in der KI die Entscheidungen nach automatisierten Profilen und Wahrscheinlichkeiten fällt.

Dieses kleine Buch von Mühlhoff ist ein Weckruf. Mühlhoff verbindet philosophische Tiefenschärfe mit politischer Klarheit und zeigt, dass der Kampf um die Freiheit heute auch mit dem Rückkanal des Smartphones, TikTok und der Digitalen Bildung entschieden wird.

Ein notwendiges, unbequemes Buch – für alle, die glauben, Digitalisierung sei neutral. Sie ist es nicht. Sie ist Macht. Und Machtausübung beginnt mit dem Umbau der Erziehungs- und Kultureinrichtungen. Das wussten und praktizierten alle Diktatoren.

Link zum Verlag und zur Universität Osnabrück

Rainer Mühlhoff (2025) Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus. [Reihe: Was bedeutet das alles?], Reclam – KI und AGI (Artificial General Intelligence) – Wie Tech-Milliardäre Macht und Zukunft formen

Siehe auch: Rainer Mühlhoff (2023) Die Macht der Daten. Warum künstliche Intelligenz eine Frage der Ethik ist. Erweiterte Fassung der am
19. Mai 2022 in der Aula des Osnabrücker Schlosses gehaltenen Osnabrücker Universitätsrede. Open-Access-Publikation (CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0)