Jugendliches Humankapital als Basis der Wertschöpfung

Der ökonomistische Blick auf junge Menschen und Schule

Durch den demografischen Wandels sei es für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland entscheidend, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland eine möglichst gute Bildung bekommen, um erfolgreich am Arbeitsmarkt teilnehmen zu können.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat dazu eine Reihe von Studien über die Kosten psychischer Erkrankungen der Gesamtbevölkerung ausgewertet. Die jährlichen Kosten beliefen sich auf auf knapp 150 Milliarden Euro und beträfen vor allem junge Menschen. Die Hälfte aller psychischen Erkrankungen würden vor dem 15. Lebensjahr, etwa drei Viertel vor dem 25. Lebensjahr auftreten.

Michael Hüther, Direktor des IW, verwies bei der Vorstellung des IW-Reports 49/2025 „Die ökonomische Bedeutung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern“ auf verschiedene Studien, wonach mehr als ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen von psychischen Auffälligkeiten betroffen seien und mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler unter Einsamkeit litten. Dies gelte vor allem für Mädchen und Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. Das habe auch volkswirtschaftliche Auswirkungen.

„Erwerben junge Menschen in diesem Bereich so starke Einschränkungen, dass sie im Erwachsenenalter nicht am Arbeitsmarkt aktiv werden können, tragen sie später nicht nur nicht zur Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft bei, sondern sind zumeist auch in hohem Maße auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen“ (IW-Report 49/2025, S. 12)

Dieser utilitaristische (rein funktionale) Blick auf Kinder und Jugendliche, ihre Entwicklung und psychische Gesundheit mag aus pädagogischer und/oder humanistischer Perspektive befremden, bestimmt aber den aktuellen Bildungsdiskurs, bei dem Vertreter der empirischen Bildungsforschung, (Lern)Psychologie, Ökonomie und Digitalwirtschaft unter dem Leitbild der „unternehmerischen Schule und Hochschule und Selbstoptimierung für den Arbeitsmarkt“ den Menschen und die Bildungseinrichtungen verzwecken und Parameter der Wirtschaft auf Sozialeinrichtungen übertragen.

Dass parallel zur De-Humanisierung durch die Verzweckung der Schule und der Fokussierung auf messbare Leistung die tatsächlichen Lernleistungen konstant sinken (siehe IQB-Bildungsstudie 2024) wird konsequent negiert. Andernfalls käme man womöglich auf die Idee, dass aktuelle Konzepte der Leistungsvermessung samt permanenter Reformitis und Technisierung der Schule und des Lernens Sackgassen sind?

Dass womöglich auch die Individualisierung und vermeintliche Personalisierung am Display oder Tablet zwar immer mehr personenscharfe Verhaltens- und Leistungsdaten für die Empiriker, Statistiker und Psycholgen liefert, aber eben nicht lernförderlich ist, wie es der Bildungsforscher John Hattie gerade anmahne, hat noch nicht den Weg der Bildungsdiskussion gefunden.

Warum sich der IW-Direktor Michael Hüther den Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz (BSK), Quentin Gärtner, mit auf die Bühne holt, um die Problematik zu verdeutlichen, bleibt offen. Der Zehn-Punkte-Plan zur Verbesserung der Situation an Schulen umfasst ja deutlich mehr Aspekte der aktuellen Schulmisere, die zu verbessern sind. Vielleicht wäre aber vor allem als Präambel noch der Hinweis hilfreich, dass Allgemein- und Schulbildung  der Persönlichkeitsentwicklung und der reflektierten Handlungsfähigkeit des Individuums in einer  sozialen Gemeinschaft dienen und nicht nur ökonomisch betrachtet werden sollte. Sonst werden die berechtigten Forderungen der BSK ebenfalls ökonomisch instrumentalisiert.

Die Bundesschülerkonferenz fordert:

  1. Mehr Personal in Schulsozialarbeit und im schulpsychologischen Dienst
  2. Bessere Schulstrukturen: individuelle Förderung, mehr Pausen, Entlastung der Lehrkräfte, gute Ganztagsmodelle
  3. Förderung von Medienkompetenz in allen Unterrichtsfächern
  4. Mentale Gesundheit als Querschnittsaufgabe für alle Schularten und Unterrichtsfächer
  5. Fortbildungen, die Lehrkräfte und pädagogisches Personal befähigen, sich den Herausforderungen psychischer Belastungen zu stellen
  6. Gesundheitsförderung als Teil der Schulkultur etablieren mit Strategien zur Prävention und Früherkennung von psychischen und physischen Krankheiten (z. B. Angebote für mehr Bewegung, gesunde Ernährung und Einsatz schulgerechter digitaler Tools zur Unterstützung von mentaler Gesundheit)
  7. Verbindliche Schutzkonzepte gegen Mobbing und Diskriminierung
  8. Vermittlung von Schlüsselkompetenzen wie Selbstregulation und Stressbewältigung im Unterricht und in außerunterrichtlichen Angeboten
  9. Schulbauten mit Rückzugsräumen, guter Akustik, viel Licht und ausreichend Platz
  10. Umfassende Begleitung, Unterstützung und Nachteilsvermeidung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung sowie für junge Menschen in risikobehafteten Lebenssituationen
    (Quelle: Tagesschau, 31.10.2025)

Links

Bildungsforscher John Hattie warnt vor falsch verstandener  Individualisierung des Lernens

IW (2025) Christina Anger; Julia Betz; Wido Geis-Thöne: Die ökonomische Bedeutung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern, IW-Report 49/2015

PDF-Download IW-Report 49/2015: Die ökonomische Bedeutung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern