Lernen in Gemeinschaft fördert die Intelligenz

Eine Studie der Universität Trier und der Technischen Universität Chemnitz bestätigt die Bedeutung von Präsenzunterricht und das Lernen in der Klassengemeinschaft für die Entwicklung von Intelligenz.

In einer Studie der Universitäten Trier und Chemnitz schnitten Schülerinnen und Schüler bei Tests zum Intelligenz-Quotienten schlechter ab als vergleichbare Stichproben vor der Covid-19-Pandemie. Neben den vielen, bereits publizierten Studien zu den psychischen Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche gibt es durch diese Untersuchung zur Entwicklung der Intelligenztestleistung (d.h. das, was sich mit IQ-Tests messen lässt), einen deutlichen Beleg dafür, dass neben den bekannten Lernrückständen auch die (messbaren) Aspekte von Intelligenz durch die Pandemie gelitten haben: „Die Testergebnisse der Pandemie-Stichprobe waren dabei signifikant niedriger als die älterer Vergleichsstichproben“, so der Psychologe Dr. Moritz Breit.

Ausgewertet wurde Intelligenztests von 424 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Dabei wurden Siebt- bis Neuntklässler das erste Mal sechs Monate nach Beginn der Pandemie in Deutschland (Sommer 2020) und einmal nach weiteren zehn Monaten (Sommer 2021) getestet. Eingesetzt wurde der Berliner Intelligenzstrukturtest, der u.a. Merkfähigkeit, Verarbeitungskapazität und Einfallsreichtum untersucht. Im Vergleich mit Testresultaten von vergleichbaren Probanden aus den Jahren 2002 und 2012 erreichten die Jugendlichen insgesamt niedrigere Intelligenzwerte. „Wir können natürlich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass die Schulschließungen zu den schlechteren Testergebnissen geführt haben“ so  Breit, aber vieles deute darauf hin. So sei bereits aus früheren Studien bekannt, dass Beschulung einen positiven und längerer Schulausfall einen negativen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung hat. Es gäbe zwar keine monokausalen Erklärungen, aber: „Unsere Studie reiht sich plausibel ein in die bisherige Forschung, die zeigt: Schule beeinflusst die Intelligenztestleistung.“ (Breit, zit. n. Hütten)

Das wundert Pädagogen nicht. Erst das Lernen in Gemeinschaft, erst Dialog und Diskurs machen aus angelerntem und statischem Wissen Verfügungs- und Handlungswissen. So formulierte es bereits Immanuel Kant im Text „Was heißt: sich im Denken orientieren?“ (1786). Sonst bekämen wir nur leere Köpfe, die zwar das Repetieren (heute: Bulimie-Lernen) trainieren, aber nicht selbständig denken und Fragen stellen könnten. Zum Denken lernen und Verstehen als Ziel von Unterricht braucht der Mensch ein Gegenüber und das Miteinander.


Die Studie

Breit,Moritz; Scherrer, Vsevolod; Blickle, Joshua; Preckel Franzis (2023)

Students’ intelligence test results after six and sixteen months of irregular schooling due to the COVID-19 pandemic. PLOS ONE 18(3); (dt.: Ergebnisse von Intelligenztests bei Schülern nach sechs und sechzehn Monaten unregelmäßigem Schulbesuch aufgrund der COVID-19-Pandemie)

PLOS:  e0281779. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0281779

Zusammenfassung

Die COVID-19-Pandemie hat das Schulwesen weltweit beeinträchtigt. Vielerorts wurden Schulen für Wochen oder Monate geschlossen, nur ein Teil der Schülerschaft konnte gleichzeitig unterrichtet werden, oder die Schüler wurden online unterrichtet. Frühere Forschungen haben die Bedeutung der Schulbildung für die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten aufgezeigt. Wir haben daher die Intelligenztestleistungen von 424 deutschen Gymnasiasten der Klassen 7 bis 9 (42 % weiblich), die nach den ersten sechs Monaten der COVID-19-Pandemie getestet wurden (d. h. die Stichprobe von 2020), mit den Ergebnissen von zwei sehr vergleichbaren Schülerstichproben aus den Jahren 2002 (n = 1506) und 2012 (n = 197) verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Intelligenztestergebnisse der 2020er-Stichprobe erheblich und signifikant niedriger waren als die der Stichproben von 2002 und 2012. Wir haben die Stichprobe von 2020 nach einem weiteren vollen Schuljahr der von COVID-19 betroffenen Schulzeit im Jahr 2021 erneut getestet. Wir fanden Veränderungen auf dem mittleren Niveau in typischer Größenordnung, ohne Anzeichen für ein Aufholen früherer Kohorten oder einen weiteren Rückgang der kognitiven Leistungen. Der wahrgenommene Stress während der Pandemie hatte keinen Einfluss auf die Veränderungen der Intelligenztestergebnisse zwischen den beiden Messungen.

Abstract

The COVID-19 pandemic has affected schooling worldwide. In many places, schools closed for weeks or months, only part of the student body could be educated at any one time, or students were taught online. Previous research discloses the relevance of schooling for the development of cognitive abilities. We therefore compared the intelligence test performance of 424 German secondary school students in Grades 7 to 9 (42% female) tested after the first six months of the COVID-19 pandemic (i.e., 2020 sample) to the results of two highly comparable student samples tested in 2002 (n = 1506) and 2012 (n = 197). The results revealed substantially and significantly lower intelligence test scores in the 2020 sample than in both the 2002 and 2012 samples. We retested the 2020 sample after another full school year of COVID-19-affected schooling in 2021. We found mean-level changes of typical magnitude, with no signs of catching up to previous cohorts or further declines in cognitive performance. Perceived stress during the pandemic did not affect changes in intelligence test results between the two measurements.

Artikel

Hütten, Felix (2023) Nur Schule macht schlau, in SZ vom 10.3.2023, S. 28, online unter: Corona-Pandemie:Wirkt sich fehlender Präsenzunterricht auf die Intelligenz aus?