Persönliche Perspektive der Schulsituation nach einem Jahr Lockdown

Von: Tanja L.

Ich bin Sonderpädagogin an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung…

Grundsätzliche Eindrücke zu den Themen Lernen Zuhause und Wechselunterricht:

Der Versuch Online Unterricht anzubieten, war in meiner Klasse unmöglich. Da einige Kinder aus sozial benachteiligten Familien stammen, in denen es Zuhause oft schon am aller Notwendigsten fehlt wie Schere, Stifte, Malfarben, Kleber etc., hatten diese weder Computer noch Drucker. Dort wo es technisch möglich gewesen wäre, gelang dies praktisch nicht aufgrund der geistigen Entwicklung (viele Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung).

Das Unterrichtsmaterial wurde dann von mir per E-Mail an die Eltern mit Druckermöglichkeit, per Post an diejenigen ohne geschickt. Ich habe Anleitungen in leichter Sprache beigelegt für die Eltern, die kaum Deutsch lesen können. Die unterrichtsbegleitenden Gebärden, vor allem für den Schriftspracherwerb, lies ich den Eltern ebenso zukommen, auch Verhaltenspläne, Übungen für den Erwerb lebenspraktischer Fähigkeiten und für den Bereich Motorik und Wahrnehmung. Ich habe versucht, das Material weiterhin wie zuvor in der Schule, so individuell wie möglich an den jeweiligen Entwicklungsstand des Einzelnen anzufertigen. Mehrmals wöchentlich stand ich mit den Eltern telefonisch in Kontakt. Die Rückmeldungen waren wie folgt:

  • die Kinder weinten ab dem 2. Lockdown viel, wollten wieder in die Schule, nannten immer wieder die Namen ihrer Schulkameraden und verweigerten das Lernen Zuhause zum Teil komplett.
  • einige Schüler sprachen im Wechselunterricht nach dem Lockdown kaum mehr Deutsch, Teile des vorher erworbenen Wissens waren vergessen
  • die Eltern wurden immer verzweifelter, fühlten sich mit der Aufgabe des „Lehrers“ Zuhause überfordert, vor allem, weil diese Kinder besondere Bedürfnisse haben, konnten die Kinder kaum mehr motivieren, klagten über den Wegfall der schulischen Therapiemöglichkeiten, bemerkten vermehrt Verhaltensänderungen, die sich in Lethargie, Wutausbrüchen, Aggression und Trauer zeigten.
  • im Wechselunterricht und mit der Einführung der Maskenpflicht fiel mir dann auf, wie eine Schülerin, das Sprechen einstellte und verstummte, sobald sie Maske trug. Noch schwerer als ohnehin schon fiel es den Kindern, Emotionen im Gesicht des anderen wahrzunehmen und zu deuten oder auch Wörter nachzusprechen, da sie die Bewegung meines Mundes mit Maske nicht sehen konnten.

Das auch für unsere Schülerschaft nun eine Testpflicht herrscht, bestürzt mich zutiefst. Wenn eine Testung in der Schule nicht möglich ist aufgrund aggressiven Verhaltens, dann muss diese Pflicht privat 2x wöchentlich von den Eltern erfüllt werden. Es macht mich unfassbar wütend und traurig, dass viele dieser Kinder jetzt tatsächlich körperlich gezwungen werden, die Testung bei einem Arzt oder im Testzentrum durchführen zu lassen. Kinder, über die wir regelmäßig in Fortbildungen lernen, dass sie Wahrnehmungsstörungen haben und Geräusche, Gerüche, Schmerzen etc. ganz anders wahrnehmen als wir selbst: nämlich viel intensiver und stärker. Noch dazu verstehen sie nicht, was mit ihnen passiert, lernen aber ihre gesamte Schulzeit lang, selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden und „Nein“ zu sagen, was ihnen jetzt verwehrt wird. Eine Testbefreiung ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen und Vorgaben möglich, allerdings mit erheblichen Aufwand für Schulleitung und Eltern verbunden. Dass die Kinder und Eltern keine uneingeschränkte freie Wahl haben, empfinde ich als beschämend und moralisch zutiefst bedenklich.

Über mögliche Alternativen zerbreche ich mir schon lange den Kopf. Allerdings komme ich leider zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.

Als allgemeine Tatsache empfinde ich aber, dass unglaublich viele Kinder und Jugendliche auf der Strecke bleiben. Sie und die Eltern werden alleine gelassen mit der Situation und den Konsequenzen, die sich daraus für sie ergeben. Das gesamte Ausmaß dieser Folgen wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen, dann aber in aller Härte und eine ganze Generation betreffend. Wer wägt ab, ob dieses Opfer nicht zu groß ist? Kinder und Jugendliche haben keine Lobby.

Praktisch kann das so nicht mehr weiter gehen, das ständige Hin und Her, Auf und Zu der Schulen. Das hat mit Schule nicht mehr viel zu tun. Weder für die Kinder, noch für mich als Lehrerin.
Die Schulen und Kindergärten, aber auch die Universitäten müssen wieder komplett geöffnet werden, mit freiwilliger Testung per Selbsttest Zuhause oder beim Arzt, der Apotheke oder im Testzentrum. Schulschließungen, Distanzunterricht und Wechselunterricht haben anscheinend keine positiven Auswirkungen auf den Inzidenzwert, das zeigt uns die Entwicklung des letzten Jahres eigentlich deutlich.

Abschließend hierzu vielleicht ein Zitat:

„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“