Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) schließt aus dem starken Anstieg von Logopädie – Verordnungen, dass die Zunahme von Sprachdefiziten bei immer mehr Kindern und Jugendlichen auch durch Smartphone & Co. (mit) verursacht wird.
Die Verantwortlichen verglichen die Zahl der Logopädie – Verordnungen zwischen 2012 und 2022. Das eindeutige Ergebnis: Immer mehr Kinder und Jugendliche sind wegen Sprachentwicklungsstörungen in logopädischer Therapie. Laut einer aktuellen Datenauswertung der KKH stieg die Zahl Betroffener zwischen 6 und 18 Jahren von 2012 auf 2022 um rund 59 Prozent. Bundesweit sind fast neun Prozent der 6- bis 18-Jährigen betroffen – fast jeder zehnte Junge und rund jedes 15. Mädchen. Am höchsten ist die Steigerungsrate im Zehn-Jahres-Vergleich bei den 15- bis 18-Jährigen mit fast 144 Prozent (Mädchen plus 160 Prozent, Jungen plus 135 Prozent).
Siehe: Eddy statt Teddy: Immer mehr Kinder ringen um Worte
KKH: Sprachdefizite nehmen stark zu – Smartphone & Co. Mitverursacher?
Welche Diagnosen und Defizite entspringen nun aber aus dieses markanten Steigerungsraten? Zunächst einmal Artikulationsstörungen, expressive Sprachentwicklungsstörungen (Dysgrammatismus, lexikalische-semantische Störungen) und sonstige rezeptive Sprachstörungen (Gesprochenes, das nicht verstanden wird). Hinzu kommen das das Auslassen oder Tauschen von Lauten, falscher Satzbau, nicht altersentsprechender Wortschatz, Stottern, Lispeln oder gar das gänzliche Verstummen des Sprechens. Schon mit der BLIKK-Studie konnte in 2017 nachgewiesen werden, dass die summarische Nutzung von digitalen Bildschirmmedien von mehr als 30 min in der Altersgruppe der 3 bis 6 jährigen zu 25% mehr Sprachentwicklungs-störungen führt.
Siehe: BLIKK-Medien – Kinder und Jugendliche im Umgang mit elektronischen Medien
Die Publikation der KKH ist ein weiterer Beleg dafür, welche Ausmaße Sprachdefizite inzwischen angenommen haben und welcher enormen Bedeutung die Prävention des dysregulierten Gebrauchs digitaler Bildschirmmedien mittlerweile zukommt. Hinzu kommen weitere Teilleistungsstörungen, deren Dimensionen jedoch noch zu wenig erforscht sind, weil entsprechende Untersuchungen äußerst komplex sind. Es wird allerdings vermutet, dass der dysregulierte Gebrauch digitaler Bildschirmmedien auch zu mehr Bewegungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens und besonders zu vermehrt auftretenden psychiatrische Erkrankungen der Erziehenden führen kann.
Doch was kann man tun? Pädiatrische Experten sind zunächst überzeugt, dass eine ganz frühzeitige individuelle Information der Eltern zumindest eine Zunahme der negativen Folgen verhindern könnte. Zudem müsste dringend die Verhältnisprävention massiv gestärkt werden. Das könnte zum Beispiel zur Folge haben, dass die die Mitnahme von Mobilphones in bis zu einem gewissen Alter Schulen untersagt oder eingeschränkt wird, wie das in immer mehr Europäischen Staaten der Fall ist. Aus der Unfallprävention ist bekannt, dass genau eine vorausschauende Beratung in Verbindung mit der Verhältnisprävention Wirkung zeigt. Und schließlich müsste eine qualifizierte und nachhaltige – von den Anbietern unabhängige – Versorgungsforschung über notwendige Beratungsinhalte zu digitalen Bildschirmmedien, initiiert werden.
Alle drei Fachverbände der Pädiatrie haben unter der Führung des Bündnisses Kinder- und Jugendgesundheit bereits erste Empfehlungen zum Bildschirmmediengebrauch publiziert.
Siehe: Kinder- & Jugendärzte im Netz
Pädiatrische Empfehlungen für Eltern zum achtsamen Bildschirmmediengebrauch
Darin wird unter anderem empfohlen:
- Bildschirmmedien stets nur in altersentsprechenden Grenzen zu nutzen (Klare zeitliche Regeln für Smartphone-Nutzung und Bildschirmgebrauch, etwa nach dem Motto „Bildschirmfrei bis 3“)
- Selbst achtsam mit Bildschirmmedien umgehen und damit Vorbild für Kinder sein und diese aber zugleich nicht als Belohnung, Bestrafung oder Beruhigung einsetzen.
- Kinder immer erst über Datenschutz, soziale Medien, mögliche Gewalt- und sexuelle Exzesse oder Glücksspiel-Verheißungen im Internet aufklären. Erst dann einen eigenen Internet-Zugang ermöglichen.
Informationen an die Eltern in frühester Kindheit, z.B. über die Inhalte der AWMF-Leitlinien.
Uwe Büsching und Raimund Schmid