Stift und Papier oder Tablet?

Wie lernen Kinder leichter Lesen und Schreiben?

Lese- und Schreibtraining von Kindergartenkindern mit Bleistift, Tastatur oder Tablet-Stift: Der Einfluss des Schreibwerkzeugs auf die Lese- und Schreibleistung auf der Buchstaben- und Wortebene

Eine Gruppe vonPsychologen der Arbeitsgruppe von Prof. Markus Kiefer (Universitätsklinikum Ulm) und der Biologin Dr. Petra Arndt ( TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Ulm) untersuchten den Einfluss von analogen und digitalen Schreibwerkzeugen auf die frühe Lese- und Schreibkompetenz von Kindern. 147 Kindergartenkinder im Vorschulalter wurden in drei Gruppen eingeteilt und benutzten unterschiedliche Utensilien:

1. Gruppe: Bleistift + Papier
2. Gruppe: Tablet + virtuelle Tastatur
3. Gruppe: Tablet + digitaler Stift

Ergebnis: Das Schreiben mit Stift und Papier hat die meisten Vorteile und keine erkennbaren Nachteile. Diese Kombination ist didaktisch zielführend, günstig und im Gegensatz zu technischen Geräten nicht störanfällig. Nach Ansicht von Professor Markus Kiefer bestätigen die Ergebnisse, dass Handbewegungen helfen, Buchstaben und Worte zu lernen und sich einzuprägen (Auge-Hand-Koordination) und die visuell-räumlichen Fähigkeiten im Vergleich zum Schreiben mit der Tastatur verbessern.

Bei der Handschrift werde die visuelle Gedächtnisspur von der motorischen Gedächtnisspur unterstützt. Das Gehirn verknüpft die Handbewegung mit der Form eines Buchstabens. Die Wissenschaftler raten daher dazu, im Zuge der Digitalisierung tradierte Lernmethoden nicht über Bord zu werfen, sondern Bewährtes wie die Handschrift und das manuelle  Arbeiten mit Stiften auf papier beizubehalten, auch wenn es sinnvoll sein kann, sich ergänzend für neue Techniken zu öffnen.

Die Studie (dt.)

Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben digitale Schreibgeräte die Handschrift mit Bleistift und Papier zunehmend ersetzt. Da die Lese- und Schreibfähigkeiten für die Bildung von zentraler Bedeutung sind, ist es wichtig zu wissen, welches Schreibgerät für die erste Alphabetisierung optimal ist. In der vorliegenden Trainingsstudie wurde daher an einer großen Stichprobe von Kindergartenkindern (n = 147) der Einfluss des Schreibgeräts auf den Erwerb von Lese- und Schreibfähigkeiten auf der Buchstaben- und Wortebene mit verschiedenen Tests überprüft. Anhand von eng aufeinander abgestimmten Buchstaben-Lernspielen wurden die Kinder über 7 Wochen mit 16 Buchstaben trainiert, indem sie mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier handschriftlich schrieben, mit einem Stift auf einem Tablet-Computer schrieben oder Buchstaben mit einer virtuellen Tastatur auf einem Tablet eintippten. Das Training mit einem Stift auf einem Touchscreen ist eine interessante Vergleichsbedingung für das traditionelle Handschreiben, da die glatte Oberfläche eines Touchscreens eine geringere Reibung aufweist als Papier und somit die Schwierigkeit der motorischen Kontrolle erhöht. Vor dem Training, unmittelbar nach dem Training und vier bis fünf Wochen nach dem Training haben wir die Lese- und Schreibleistung mit standardisierten Tests bewertet.

Wir untersuchten auch die visuell-räumlichen Fähigkeiten vor und nach dem Training, um herauszufinden, ob sich die verschiedenen Trainingsprogramme auf andere kognitive Bereiche als die Schriftsprache auswirken. Die Kinder der Bleistiftgruppe zeigten im Vergleich zum Tastaturtraining bessere Leistungen bei der Buchstabenerkennung und verbesserte visuell-räumliche Fähigkeiten. Die Leistungen der Stiftgruppe unterschieden sich weder von denen der Tastatur- noch von denen der Bleistiftgruppe signifikant. Das Tastaturtraining führte jedoch zu einer besseren Leistung beim Schreiben und Lesen von Wörtern als das Handschrifttraining mit einem Stift auf dem Tablet, nicht aber im Vergleich zur Bleistiftgruppe.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Schreiben mit Bleistift den Erwerb von Buchstabenwissen fördert und die visuell-räumlichen Fähigkeiten im Vergleich zum Schreiben mit der Tastatur verbessert. Zumindest beim derzeitigen Stand der Technik scheint das Schreiben mit einem Stift auf einem Touchscreen das ungünstigste Schreibwerkzeug zu sein, möglicherweise wegen der erhöhten Anforderungen an die motorische Kontrolle. Zukünftige Ausbildungsstudien, die einen längeren Beobachtungszeitraum über Jahre hinweg abdecken, sind erforderlich, um Aussagen über die langfristigen Auswirkungen von Schreibwerkzeugen auf den Schriftspracherwerb sowie auf die allgemeine kognitive Entwicklung zu ermöglichen.

Mayer, C., Waller, S., Budde-Sprengler, N., Braunert, S., Arndt, P. A., Kiefer, M. (2020). Literacy Training of Kindergarten Children With Pencil, Keyboard or Tablet Stylus: The Influence of the Writing Tool on Reading and Writing Performance at the Letter and Word Level. Veröffentlicht in: frontiers in Psychology.

https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2019.03054/full


Literacy Training of Kindergarten Children With Pencil, Keyboard or Tablet Stylus: The Influence of the Writing Tool on Reading and Writing Performance at the Letter and Word Level

 Abstract

During the last years, digital writing devices are increasingly replacing handwriting with pencil and paper. As reading and writing skills are central for education, it is important to know, which writing tool is optimal for initial literacy education. The present training study was therefore set up to test the influence of the writing tool on the acquisition of literacy skills at the letter and word level with various tests in a large sample of kindergarten children (n = 147). Using closely matched letter learning games, children were trained with 16 letters by handwriting with a pencil on a sheet of paper, by writing with a stylus on a tablet computer, or by typing letters using a virtual keyboard on a tablet across 7 weeks. Training using a stylus on a touchscreen is an interesting comparison condition for traditional handwriting, because the slippery surface of a touchscreen has lower friction than paper and thus increases difficulty of motor control. Before training, immediately after training and four to five weeks after training, we assessed reading and writing performance using standardized tests.

We also assessed visuo-spatial skills before and after training, in order to test, whether the different training regimens affected cognitive domains other than written language. Children of the pencil group showed superior performance in letter recognition and improved visuo-spatial skills compared with keyboard training. The performance of the stylus group did not differ significantly neither from the keyboard nor from the pencil group. Keyboard training, however, resulted in superior performance in word writing and reading compared with handwriting training with a stylus on the tablet, but not compared with the pencil group.

Our results suggest that handwriting with pencil fosters acquisition of letter knowledge and improves visuo-spatial skills compared with keyboarding. At least given the current technological state, writing with a stylus on a touchscreen seems to be the least favorable writing tool, possibly because of increased demands on motor control. Future training studies covering a more extended observation period over years are needed to allow conclusions about long-term effects of writing tools on literacy acquisition as well as on general cognitive development.

Mayer, C., Waller, S., Budde-Sprengler, N., Braunert, S., Arndt, P. A., Kiefer, M. (2020). Literacy Training of Kindergarten Children With Pencil, Keyboard or Tablet Stylus: The Influence of the Writing Tool on Reading and Writing Performance at the Letter and Word Level. Veröffentlicht in: frontiers in Psychology.

https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2019.03054/full