Übersichtsstudie weist die schädlichen Auswirkungen des frühen Medienkonsums nach

Deutsches Ärzteblatt: „Medienkonsum im Vorschulalter. Risiko von Autismus und Entwicklungsstörungen“

Mit der Veröffentlichung „Medienkonsum im Vorschulalter“ positioniert sich nun auch das Deutsche Ärzteblatt. Digitale Medien haben in Kindertagesstätten nichts zu suchen. Sie machen Kinder krank. Eine Rückbesinnung auf das natürliche, soziale Spielen ist notwendig.

Von Peter Hensinger

Auf dem 129. Deutschen Ärztetag wurden zwei Beschlüsse gefasst, die von digitalen Bildschirmmedien freie Schulen fordern. Nur noch ein pädagogisch geplanter Einsatz soll erlaubt sein! Es kann als Bekräftigung dieses Beschlusses aufgefasst werden, dass im Deutschen Ärzteblatt 16/2025 die Studie „Medienkonsum im Vorschulalter. Risiko von Autismus und Entwicklungsstörungen“ von Kamp-Becker / Poutska veröffentlicht wurde. Diese Übersichtsarbeit (Review) kommt zu dem Schluss, dass ein „Medienkonsum im Vorschulalter mit Defiziten im Bereich der Sprache und Kognition assoziiert“ ist. Der Artikel ist insbesondere für die Praxis von Erzieherinnen und Erzieher bedeutend.

Zu viel Bildschirm, zu wenig Miteinander – Was Erzieherinnen und Erzieher über Medienkonsum im Vorschulalter wissen sollten

Die Übersichtsarbeit von Kamp-Becker und Poustka zeigt deutlich: Früher Medienkonsum kann die Entwicklung von Kindern nachhaltig beeinträchtigen. Die Autorinnen fassen die Ergebnisse von 43 internationalen Studien zusammen und kommen zu einem klaren Ergebnis:

„Im Kontext mit weiteren Risikofaktoren ist ein erhöhter Medienkonsum bei jungen Kindern mit einer abweichenden oder verzögerten Entwicklung assoziiert.“

Das betrifft vor allem Sprache, kognitive Fähigkeiten und das Sozialverhalten. Kinder, die täglich mehr als drei Stunden vor dem Bildschirm verbringen, haben laut Studie ein deutlich erhöhtes Risiko für Sprach- und Entwicklungsstörungen, emotionale Probleme wie Ängste oder Depressionen sowie Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität (ADHS) oder Aggression. Besonders alarmierend: Auch Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung und Computerspielsucht können die Folge eines frühen Konsums digitaler Medien sein. Einige Kernaussagen der Studie:

  • „Die Studienergebnisse zeigten übereinstimmend, dass ein Medienkonsum im Vorschulalter mit Defiziten im Bereich der Sprache und Kognition assoziiert war … und einen Risikofaktor für die Entwicklung von emotionalen, Verhaltens- sowie Entwicklungsstörungen darstellte.
  • Auch Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung wurden im Zusammenhang mit einem erhöhten Medienkonsum gefunden. Allerdings standen die untersuchten Effekte stets in Zusammenhang mit vielen weiteren Risikofaktoren für die psychische Gesundheit wie beispielsweise sozioökonomischer Status, psychische Störungen in der Familie oder elterlicher Stress, die diese Effekte direkt oder indirekt vermittelten.
  • Eine Reduktion des Medienkonsums und eine gleichzeitige Erhöhung konstruktiver Interaktionen zwischen Eltern und ihren Kindern verminderte in Interventionsstudien die Symptomatik.
  • Bei Vorliegen von Risikofaktoren ist es daher notwendig, Eltern aufzuklären und präventive Maßnahmen zu ergreifen, um langfristig eine ungestörte Entwicklung von Kindern zu fördern.
  • Die Nutzung von Online-Spielen im Vorschulalter (geht) mit einem erhöhten Risiko für Computerspielsucht in der Adoleszenz einher.
  • Je später der Medienkonsum beginnt, desto besser die sprachlichen Fertigkeiten und desto geringer die Ausprägung der emotionalen und Verhaltensprobleme.“

Die ausgewerteten Daten sprechen eine deutliche Sprache: Je früher und je länger Kinder Medien konsumieren, desto größer sind die Risiken. Ein früher Start – etwa schon vor dem zweiten Geburtstag – geht oft mit geringeren sprachlichen Fähigkeiten und mehr Verhaltensproblemen einher. Hinzu kommt, dass unbegleiteter Konsum und nicht kindgerechte Inhalte die negativen Effekte verstärken. Aber:  „Das Ausmaß der Entwicklungsstörungen kann durch eine gezielte Unterstützung für die Eltern reduziert werden“, so die Autorinnen.

Bild:pexels-pavel-danilyuk
[Bild:pexels-pavel-danilyuk]

Was bedeutet das für die Praxis in der Kita? Zurück zum Spiel!

Erzieherinnen sehen täglich, wie Kinder und Eltern mit Medien umgehen – und können eine wichtige Rolle spielen, um Eltern zu sensibilisieren. Sinnvoll ist es, Eltern zu ermutigen, Mediennutzung möglichst spät zu beginnen und Alternativen zu praktizieren. Als besonders wirksame Alternative nennt die Arbeit das Spielen:

  • „Ein häufigeres interaktives Eltern-Kind-Spiel pro Tag geht bereits mit einer geringeren Symptomatik einher.“

Erzieherinnen sind oft die ersten, die Auffälligkeiten bemerken – und die ersten, die Eltern auf Risiken aufmerksam machen können. Die Autorinnen schreiben: „Bei Vorliegen von Risikofaktoren ist es daher notwendig, Eltern aufzuklären und präventive Maßnahmen zu ergreifen“:

  • „Positiv ist, dass die mit dem Medienkonsum einhergehende Symptomatik reduziert werden kann. Ein häufigeres interaktives Eltern-Kind-Spiel pro Tag geht bereits mit einer geringeren Symptomatik einher. Elterntrainings, die explizit eine Reduktion des Medienkonsums und ein vermehrtes interaktives Spielen mit dem Kind zum Ziel haben, sind effektiv.“

Das kann bedeuten, im Elterngespräch und auf Elternabenden die Mediennutzung thematisieren, Materialien bereitzustellen oder ggf. auf Beratungsstellen verweisen. Die Studie bekräftigt, dass die Schlussfolgerung der Leopoldina-Studie erst besonders für Kitas gilt, denn in ihnen werden die Weichen für die Entwicklung der Kinder gestellt:

  • „Wir empfehlen, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 zu untersagen (S.40).“

Vertiefungstexte für Erzieherinnen und Erzieher:

Prof. Klaus Zierer (2024): Smartphone-Verbot an Schulen: Sinnvoll, vor allem mit pädagogischer Begleitung

Prof. Gertraud Teuchert-Noodt (2016): Ein Bauherr beginnt auch nicht mit dem Dach
Die digitale Revolution verbaut unseren Kindern die Zukunft, umwelt-medizin-gesellschaft

11 deutsche Fachverbände (2023): „Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“

Peter Hensinger (2023): Paradigmenwechsel ante portas: „Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“ erschienen – Eine Einordnung, umwelt-medizin-gesellschaft

Teuchert-Noodt G / Hensinger P (2024): Kinder, Jugend und digitale Medien. Ohne Berücksichtigung der Erkenntnisse der Gehirnforschung gelingt kein Ausweg aus der Smartphone-Epidemie, umwelt-medizin-gesellschaft

Peter Hensinger (2025): Digitalisierung von KiTas und Schulen. Der Stuttgarter 39 Millionen Euro Skandal. Warum kamen digitale Medien in KiTas und Schulen? Eine Analyse der ökonomischen und politischen Hintergründe des Hypes um die „Digitale Bildung“.

Aufruf der 75 Experten: : Humane und emanzipierende Bildungspolitik vs. digitale Transformation:  Der Bildungsnotstand in Deutschland vertieft sich. Mindeststandards in Lesen, Rechnen, Schreiben und Sprachkompetenz werden immer weniger erreicht. Heute stellt die Erziehungswissenschaft fest: Die Digitalisierung ist nicht die Lösung, sondern ein zentrales Problem. So hilfreich Digitaltechnik in vielen Lebensbereichen sein kann, so kritisch muss sie beim Einsatz in Bildungseinrichtungen reflektiert werden. Gefordert sind politische Entscheidungen für eine an den Bedürfnissen des Menschen orientierte Bildungspolitik. Ein Gesamtkonzept für eine pädagogische Wende.

Artikelserie: Chronologische Dokumentation wichtiger Studien und Beiträge zur Debatte um die „Digitale Bildung“