Warum wir ein Schulfach Medienbildung brauchen

Die Forderung nach einem Schulfach Medienbildung unterscheidet sich von anderen Forderungen nach der Ergänzung von Schulfächern in einem zentralen Punkt: Medienbildung – im Sinne von Media Literacy – ist ein Querschnittsthema, das jedes andere Schulfach, wie auch jede öffentliche Debatte betrifft. Denn es sind – immer da, wo wir keinen direkten Zugang haben – Medien, die uns die Vorstellung von Welt vermitteln. Die daraus resultierenden Verzerrungen müssen stärker ins Bewusstsein rücken, weil Medien ja nun mal auswählen, kürzen und montieren müssen. Bei der journalistischen Arbeit gibt es Bedingungen, die zu dem Ausschnitt führen, den wir von der Welt zu sehen bekommen. Und bei gleicher Faktenlage kann das Fenster zur Welt je nach gewählten Stilmitteln ganz anders aussehen. Um diese Bedingungen geht es bei der Forderung nach einem Schulfach Medienbildung, denn der Wissenskanon ist vielfältig und tiefgründig und kann nicht mal eben so nebenbei erworben werden.

Die Verankerung von Fragen zur Medienkompetenz als Teil der Medienbildung in Fächern wie Deutsch und Sozialkunde ist besser als nichts, aber kann kaum den Raum dafür bieten, damit die Erkenntnisse weit über eine Gegenüberstellung von BILD mit der SZ reichen. Insofern sind auch alle Initiativen, wie Zeitung macht Schule zu begrüßen als berühmter Tropfen auf den heißen Stein. Derlei Projekte würden vor allem dann Sinn machen, wenn sie in ein umfassendes Medienbildungscurriculum eingegliedert sind, wozu Medienkunde (also Mediensystem und Medienethik, Medienberufe und Nachrichtenwege etc.pp.) ebenso gehört wie die vielfältigen Methoden der Medienanalyse, von der Sprachanalyse über die Bild- und Videoanalyse bis hin zu digitalen Verifikationskompetenzen etc.pp. Ziel muss eine Medienreflexionskompetenz sein, wie sie etwa die Universität Marburg lehrt.

Im medienpädagogischen Bereich hat sich jedoch eine Projektitis breit gemacht, die ebenfalls besser ist als nichts, aber die verbleibenden Lücken des umfassenden Stoffs kaum kompensieren kann. Und die sich oft nicht als nachhaltig erweist, weil sie nicht alle SchülerInnen erreichen und eben kein Dauerfach sind. Aber Media Literacy muss man lernen wie Schreiben, Rechnen und Lesen. Dann gelingt es auch sie im Alltag anzuwenden, ohne großen Rechercheaufwand, denn zunächst einmal steht das kritische Betrachten der jeweiligen Oberfläche medialer Erscheinungsformen an.

Medienkompetenz ist nicht mit Digitalisierung zu verwechseln

Die Bildungspolitik zielt aber weniger auf der Förderung kritischer Kompetenzen für eine wehrhafte Demokratie, sondern lagert vielmehr zentrale Fragestellungen einer umfassenden Bildung in Förderprogramme aus, die vor allem der Digitalisierung dienen und damit das Angebot für Medienbildung auf digitale Aspekte reduzieren und eigentlich wichtige Bildungsfragen auf technische Ausstattungsfragen umlenkt.

Das ist nicht nur viel zu wenig, eine zu frühe Digitalisierung ist sogar gefährlich, wie u.a. Prof. Gerald Lembke in seinen Forschungen zur „Lüge der digitalen Bildung“ belegt – und das gilt übrigens auch für das vielfach unterschätzte Fernsehen, wie die Diskussion der US-amerikanischen Fachzeitschrift Pediatrics immer wieder aufzeigt. Von Fragen der Sucht- und Mediengewalt reden wir dabei noch garnicht. Es braucht umfassende Konzepte für die Medienbildung und deshalb Lehrplankommissionen zur universitären Aus- und Fortbildung von Lehrkräften mit evaluiertem didaktischem Material, das um die Microsoft-Werbetexte, die sich in einige Statements von Bundestagskommissionen eingeschlichen haben, bereinigt wird. Und die

Medienbildungsangebote müssen sich an der Hirnentwicklung der Kinder orientieren wie andere Bildungsinhalte auch, nicht umgekehrt den Interessen der IT-Branche folgen. Denn die Synapsen-Bildung im Vor- und Grundschulalter findet in zwischenmenschlicher Beziehung und im räumlichen Erleben statt – flache zweidimensionale Angebote reduzieren in dieser Phase die Bildungschancen, was nochmal zusätzlich einen Blick auf den sinnvollen Einsatz zusätzlicher Digitalangebote wirft. Es ist wie mit dem Autoführerschein: niemand würde aus Angst vor Schwierigkeiten bei der Prüfung ein dreijähriges Kind zur Fahrschule schicken.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Media Literacy bedeutet, dass man eine kritische Distanz zu den jeweiligen Darstellungen aufbauen kann, ihre Konstruiertheit erkennen. Das betrifft freilich alle Medienarten – auch wenn die Medienbranche selbst gerne versucht die Problematik falscher Darstellungen oder gar gezielter Desinformation auf Social Media alleine zu projizieren. Die gibt es jedoch hüben wie drüben und die kann man erkennen und sollte das natürlich auch unvoreingenommen hüben wie drüben tun.

Die Erkenntnisse aus der PR-Forschung belegen, dass sich verbreitet mehr oder weniger manipulative Werbebotschaften in Medien finden lassen. Und zwar nicht nur bei Product Placement, sondern auch bei politischen Botschaften etwa von Think Tanks, wozu in Deutschland ganz führend die Bertelsmann-Stiftung gehört, deren neoliberale Privatisierungskonzepte bis in den EU-Lissabon-Vertrag hineinreichen. Die erstarkende Fünfte Gewalt des Lobbyismus läuft der Vierten Gewalt, die immer schlechter ausgestattet wird, den Rang ab und schafft es zunehmend, ihre eingängigen Botschaften in vermeintlich journalistisch geprüften Formaten zu veredeln. Aufklärung gibt es darüber manchmal in Medien oder Sozialen Medien und vice versa. Manipulierte Botschaften finden sich ebenfalls überall; auch durch das sog. Astroturfing, eine Technik zur Inszenierung von Graswurzelbewegungen.

Natürlich gehören Bildungshinhalte über die Techniken der strategischen Kommunikation auch in die Journalisten-Aus- und Fortbildung, aber eben auch in den Schulunterricht, um diese besser zu erkennen und an den richtigen Stellen zu hinterfragen, statt undifferenziert in ubiquitäre Verschwörungsmythen abzugleichen – die immer dann besonders erfolgreich sind, wenn Basiswissen fehlt. Darum reicht auch Medienvertrauen überhaupt nicht aus, denn es kann nicht darum gehen, wem man Glauben schenkt oder nicht. In jedem Medium gibt es bessere und schlechtere Beiträge. Vertrauen und Glaubwürdigkeit hat allenfalls etwas mit Transparenz bei der Vorgehensweise und Nachvollziehbarkeit zu tun; es ist aber nicht ausreichend, um Medien auf ihre Qualität hin zu prüfen.

Zum anti-verschwörungstheoretischen Denken gehört neben der analytischen Medienbildung noch Wissen über Abläufe in Nachrichtenagenturen und Redaktionen. Aber auch darüber, dass man eben ums Shapen eines Sacherhalts nicht herumkommt, weil Sprache und Bilder immer vorgeprägt sind. So wie Watzlawik einst feststellte, dass man nicht nicht kommunizieren kann, so kann man eben auch nicht nicht framen. Eine Perspektivgebung steckt also in den verwendeten Zeichen und hier allein schon zeigt sich der Diskussionsbedarf im Schulunterricht bei der idealtypischen Unterscheidung von Formaten wie Bericht und Kommentar. Dafür braucht es nicht nur Fachwissen, sondern auch Raum, um Reflexion über Meinungsbildung zu ermöglichen – eine Grundbedingung für die Demokratie.

Sabine Schiffer ist Linguistin und Medienwissenschaftlerin und Autorin des Lehrbuchs „Medienanalyse“. Sie ist Professorin für Journalismus und Kommunikation an der Media-University for Applied Sciences. Das von ihr gegründete private Institut für Medienverantwortung hat diese Fragen in einer Konferenz am 28.03. 2025 im Haus der Demokratie und Menschenrechte erörtert.

www.medienverantwortung.de, www.generationmedien.de