Rezension zu Jonathan Haidt: Generation Angst. Wie wir unsere Kinder verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen,
Von Peter Hensinger
Der US-Bestseller war in Deutschland drei Wochen nach dem Erscheinen ausverkauft. Der Autor ist Professor für Sozialpsychologie in New York und untersuchte die Veränderungen unter Kindern und Jugendlichen, die mit dem Smartphone aufwachsen – ein Produkt, so Haidt, mit „suchterzeugenden Inhalten“, das „körperliches Spielen und eine Sozialisierung durch persönlichen Kontakt in den Hintergrund drängt … und die menschliche Entwicklung in einem fast unvorstellbaren Ausmaß verändert“.
Haidt spricht von einer Zeitenwende, die sich bis heute gravierend auf Familien, ihre Kinder, Kitas und Schulen auswirkt. Diese Zeitenwende beschreibt er als „die vollständige Umstellung von einer spielerischen Kindheit … auf eine telefonbasierte Kindheit“ – eine „historische und beispiellose Transformation“. Dadurch verpassen die Kinder „tatsächlich fast alles“, was sie für eine gesunde Entwicklung brauchen. Mit der Einführung des Smartphones stürzte die geistige Gesundheit junger Menschen eine Klippe hinunter“, Angstzustände, Depressionen, Selbstverletzungen, Selbstmord, Einsamkeitsgefühle nahmen rapide zu. „Durch Smartphones und soziale Netzwerke sehen Kinder ihre Freunde nicht mehr so oft im wirklichen Leben. Sie schlafen nicht mehr so viel. Sie haben weniger Erfahrungen mit der Natur und sitzen den ganzen Tag nur vor ihrem Bildschirm. So verpassen sie das breite Spektrum der Erfahrungen, die für eine gesunde Entwicklung notwenig sind. Ihr Gehirn wird auf ein Leben am Bildschirm eingestellt. Das macht sie kaputt.“
Haidts Erkenntnisse decken sich mit denen der Neurobiologie: Das gesamte Gehirn, das Raum-Zeit-Gedächtnis, sie entwickeln sich im Spiel. Was auf dem Bildschirm erscheint, ist nicht die Sache selbst, sondern ein Surrogat der Realität. Das frühe Auseinanderfallen von Bewegung und Wahrnehmung stellt sich als eine der gravierendsten Auswirkungen der Digitalisierung heraus. Was vor allem verloren geht, ist die Fähigkeit, eigenständig Wissen zu konstruieren, selbst Fragen zu stellen und Zusammenhänge erkunden. Erziehende müssen Haidt lesen, weil er uns allen bewusst macht, welchen Risiken unsere Kinder ausgesetzt sind, was die Gründe dafür sind, aber auch, dass es Lösungen gibt. Er schlägt für unsere Ohren radikale Lösungen vor: Smartphones erst ab 14, Social Media ab 16, Schulen Smartphone frei, weit mehr unüberwachtes Spiel und Unabhängigkeit in der Kindheit. Aber wie dies durchsetzen? Einerseits fordert Haidt staatliche Regulierungen. Aber den Schlüssel haben KiTas, Schulen und Eltern in der Hand. Haidt schlägt vor, dass sie Vereinbarungen für eine smartphonefreies Aufwachsen ihrer Kinder treffen. Nicht einfach! Die Lektüre des Buches wird Eltern und Lehrende sofort überzeugen, dass dies aber notwendig ist.
Jonathan Haidt (2024) Generation Angst. Wie wir unsere Kinder verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen, Rowohlt Verlag, Hamburg
Rezension erschienen in: Gesundheit & Pädagogik, Herbst 2024, S. 39