Der Rezipient im Spannungsfeld des digitalen Wandels.
Beitrag von Ralf Lankau zu den 15. Buckower Mediengesprächen 2011: Medientechnologien vs. Handlungsstrategien: Der Spielraum des Rezipienten. Hrsg. von Klaus-Dieter Felsmann
Der Beitrag als PDF: Lankau (2011) Wenn Avatare mit Prosumenten chatten
Gerd Gigerenzer: Die Auslagerung des Geistes
„07. Januar 2010 Als ich im Herbst 1989 an das „Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences“ in Palo Alto kam, warf ich einen neugierigen Blick in mein neues kajütenartiges Büro. Verblüffenderweise enthielt der Raum nicht die geringste technische Ausstattung, kein Telefon, kein Email oder sonstige Kommunikationsmittel. Nichts würde hier meine Gedankengänge unterbrechen können. Die technischen Hilfsmittel standen außerhalb der Büros zur Verfügung, wann immer man wünschte, durften aber nicht in den Arbeitszimmern ihr Eigenleben entfalten. Diese geschützte Zone war bewusst darauf angelegt, den Gelehrten die nötige Zeit zum Nachdenken, und zwar zu tiefem Nachdenken, zu verschaffen.“ (1)Kevin Kelly: Ich bin mir über gar nichts mehr sicher
„Schon lange versuche ich nicht mehr, mir Fakten zu merken oder auch nur, wo ich sie herhabe. Ich habe gelernt, wie ich im Internet an sie herankomme. Mein Wissen ist damit prekärer geworden. Für jedes allgemein akzeptierte Partikel Wissen, das ich finde, ist sofort jemand zur Hand, der es in Abrede stellt. Jede Tatsache hat eine Gegentatsache. Die extreme Verlinkung des Internet macht die Gegentatsachen genauso sichtbar wie die Tatsachen. Manche Antitatsachen sind unsinnig, manche grenzwertig und manche stichhaltig. Kein Experte kann sie für uns auseinandersortieren, weil es für jeden Experten einen gleichwertigen Gegenexperten gibt. Somit unterliegt alles, was ich lerne, der Erosion durch diese allgegenwärtigen Antifaktoren. Ich bin mir zunehmend
über gar nichts mehr sicher.“ (2)
I Wenn Avatare mit Prosumenten chatten…
Die beiden Eingangszitate von Gerd Gigerenzer und Kevin Kelly beschreiben zwei Aspekte und mögliche Reaktionen auf die zunehmend allgegenwärtige digitale Informations- und Kommunikations-Technologie (IuK):
- a) Die Notwendigkeit der unterbrechungsfreien Konzentration, um nachdenken zu können, die geräte- und medienfreie Zeit der Muße – hier stellvertretend beschrieben für das wissenschaftliche Arbeiten, bei der man nichts braucht außer Ruhe und einen wachen Geist.
Das ist das „klassische“ Bild des Gelehrten in seiner Studierstube. Es ist das Sinnbild eines in sich ruhenden, konzentriert arbeitenden Menschen, der unterbrechungsfrei (nach)denken und reflektieren kann. Dieser Bewusstseinszustand wird „autotelisch“ genannt, von „telos“, Zweck oder Ziel. „Auto“ bedeutet „selbst“, die Kombination entsprechend Selbstzweck oder „selbst Ziel sein“. Es beschreibt die Einheit von Handeln und Bewusstsein (3). Dieses ungestörte „in sich Ruhen in Tätigkeit“, (im Gegensatz zur körperlichen Passivität bei Meditation und Kontemplation) steht in einer zunehmend technisierten und digitalisierten Welt mit permanenter Erreich- und Verfügbarkeit aller (Menschen, Geräte, Dienste) zur Disposition. Die Ablenkung durch (unkontrollierte) Unterbrechung ist bei Gigerenzer deshalb notwendig räumlich ausgelagert.
- b) Die aktuelle „Philosophie“ des Auslagerns von „Wissen“ (Daten) ins Netz, auf das man bei Bedarf zugreift und die damit zusammenhängende Notwendigkeit des permanenten Netzzugriffs, die Online-Arbeit am Personal Computer (PC), Laptop, Smartphone, Tablet-PC, usw. bei gleichzeitiger Kakophonie der Geräte, Dienste und Meinungen im Netz.
Einer Kakophonie, die selbst bei einem überzeugten Internetverfechter und Computerveteranen wie Kelly zu Verunsicherung führt. Die von Kelly postulierte Unsicherheit ist dabei nicht die prinzipielle Unsicherheit jedes wissenschaftlichen Arbeitens, das vom sokratischen „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß“ bis zu den Popperschen „Meinungen“ reicht, die permanent zu validieren und zu falsifizieren seien und der „Logik der Forschung“ (4) entspringt. Kelley formuliert die Hilflosigkeit gegenüber unstrukturierten, sich widersprechenden Quellen, die gleichwohl allesamt Gültigkeit, wenn nicht sogar „mehr“ einfordern: Expertenstatus. (5)
Er thematisiert die schon rein quantitative Überforderung der Nutzer. Die von ihm angesprochene Unsicherheit thematisiert die Überforderung selbst des web- und computeraffinen, erwachsenen Wissenschaftlers und langjährigen IT-Entwicklers durch ein exponentiell steigendes Informationsangebot, den permanenten „information overflow“. Dazu kommt die potentielle Parallelnutzung mehrerer Dienste bzw. Programme gleichzeitig. Bei Radio- oder Fernsehapparat stellt man einen Kanal ein und kann maximal zwischen den Kanälen wechseln (oder müsste mehrere Geräte nebeneinander aufstellen). Bei Rechnern laufen mehrere Anwendungen gleichzeitig. Moderne Rechner beherrschen „Multi-Tasking“ (paralleles Bearbeiten mehrerer Aufgaben). Beim Menschen – viele (möchten) glauben, sie seien so multitaskingfähig wie ein Prozessor – führt es zu einer permanenten Überlastung mit entsprechenden psychischen und/oder physischen Problemen: medial erzeugtes ADS und ADHS vor allem bei Kindern, Burnout bei Erwachsenen, Konzentrationsschwächen bei allen.
Bella Digitalia. Brave New World, die erste.
Wenn Avatare …: Begriffsdefinitionen
Aktuell denkt man bei „Avatar“ vermutlich (noch) an „Avatar – Aufbruch nach Pandora“, den sehr erfolgreichen Science-Fiction-Film von James Cameron (2009), auch in 3D, als Computer- und Videospiel. Der Begriff hingegen ist vielschichtiger und beschreibt allgemein künstliche Figuren.
Im Alt-Indischen (Sanskrit) bedeutete Avatar ursprünglich „Herabkunft“ und bezeichnet im Hinduismus die „körperliche Manifestation eines Gottes“. Begreift man diese „körperliche Manifestation“ nicht physisch, sondern metaphorisch, wird verständlich, warum man auch in anderen Kontexten von „Avataren“ spricht. Es sind Stellvertreter für Lebewesen aus anderen „Welten“.
Es ist der Begriff für Götter und Helden in der idealisierten, es ist der Begriff für das eigene Ich in der profanisierten Form, einfache Spielfiguren in Computerspielen etwa, die (schon vergessenen) Avatare in „Second Life“ oder Figuren in (virtuellen) Rollenspielen. Dabei verwischen mitunter die Grenzen, etwa in „social media“-Plattformen: Das eigene Profil ist ein „Stellvertreter“ oder ein virtuelles „Ebenbild“. Die Eigenschaften, Vorlieben und Interessen, die man dieser Kunstfigur zuschreibt, müssen mit der realen Person nicht übereinstimmen. Im Gegenteil: Die Selbstinszenierung mit Hilfe ausgedachter Rollen, phantasierter Charakterzüge und Fähigkeiten gehört zum Spiel. Sich zu verstellen und zu inszenieren ist Teil der Faszination. Virtuell bin ich, wer ich sein möchte …, zumindest bis Google+. (sprich: Google plus) dem ein Ende setzt. (6)
Im Internet (genauer: World Wide Web) bezeichnet man mit Avatar daher verallgemeinernd eine künstliche (virtuelle, nicht zwangsläufig visuelle) Person und/oder den grafischer Stellvertreter einer echten Person. Avatare sind allerdings nur eine Spielart von “Helfern“ oder Stellvertretern (7), die in der folgenden Grafik zusammengestellt sind, um das Spektrum der Begriffe, Figurationen und möglichen Funktionen aufzuzeigen:

Diese virtuellen Helfer beginnen bei simplen „softbots“, einfachen Softwareagenten (links unten) und reichen über Agenten bis zu Androiden, Cyborgs und – bezeichnenderweise über dem Menschen stehend – der „Superintelligenz“ (s.u.). (8) Relevant sind hier die Hauptachsen der Anthropomorphisierung (9) sowie deren Kombination in der Diagonalen:
- a) Anthropomorphisierung der Struktur (die Horizontale) bedeutet, dass Maschinen den Menschen im äußeren Erscheinungsbild, dem „Körper“ und den Bewegungen immer ähnlicher werden (künstliche Körper);
- b) Anthropomorphisierung der Funktion (die Vertikale) bedeutet, dass die Maschinen „lernfähig“ sind, eine „künstliche Intelligenz“ (10) entwickeln (sollen) und zunehmend auch „emotionale“ Äußerungen oder Handlungen simulieren, sprich: Aktionen ausführen, die vom menschlichen Gegenüber als emotionales Verhalten interpretierbar sind;
- c) Anthropomorphisierung von Struktur und Funktion (die Diagonale) bedeutet, dass Roboter sowohl vom Erscheinungsbild wie vom „Verhalten“ und den (Re)Aktionen „menschlich –genauer „humanoid“ werden und so wahlweise zum Begleiter, Helfer (oder auch zur Bedrohung) werden.
Diese Ambivalenz „intelligenter Systeme“ ist immanenter Teil sogenannter „künstlicher Intelligenz“, ebenso deren Potenz zur Verselbständigung. Exemplarisch genannt sei Stanley Kubricks Science fiction-Film „Odyssee 2001“ von 1968: der Bordcomputer , das „Superhirn“ (HAL), tötet nach und nach alle Crew-Mitglieder, bis der letzte verbliebene Astronaut Bowman den Arbeitsspeicher (RAM) ausbaut und HAL dadurch zum Kind und schließlich Säugling regrediert, treffend inszeniert durch den zunehmenden Verlust der Sprache (!) bis zum hilflosen Stammeln. Aus Science-Fiction-Romanen und Filmen kennen wir die aufwendigsten Beispiele von Humanoiden, Androiden und Cyborgs. Aber auch in alltäglichen Anwendungen begegnen uns digitale Helfer, mal in visueller Form (einfache Animationen, die einfachste: ein Blinken, komplexer sind Ablaufschemata oder animierte Figuren), mal in akustischer Form ( in der einfachsten Form als Signalton, komplexer „menschliche“ Stimme im Navigationssystem). In der Regel aber sind Avatare künstliche 2D / 3D-Figuren und (digitale) Stellvertreter einer echten Person. (11)
Exkurs: Kybernetik und „Superintelligenz“
„Superintelligenz“ ist ein Begriff der Futurologen aus der Schule der „Singularisten“, die glauben, dass Menschen immer intelligentere Maschinen bauen, die irgendwann so intelligent werden, dass sie sich selbst reproduzieren und dann so komplex sind, dass der Mensch sie nicht mehr versteht: Sich selbst reproduzierende und optimierende Maschinen also, die den Menschen überflüssig machen. Was man aus Science-fiction-Romanen kennt – die Abschaffung des Menschen – ist hier „wissenschaftliches“ Programm.

Der wissenschaftstheoretische Hintergrund dieser Entwicklungen sind:
- a) die Kybernetik (griech: kybernetike), die „Steuermannskunst“, eine formale, fächerübergreifende Theorie, die sich mit der mathematischen Beschreibung von komplexen, dynamischen Systemen und deren Modulierung befasst. Ziel ist die vollständige Steuerung und Regelung/Programmierung von technischen und natürlichen Systemen. Die allgemeine Kybernetik untersucht Strukturen und Funktionen von Regelsystemen. Disziplinen sind u.a. Systemtheorie, Steuerungs- und Regelungstheorie, Informations- und Automatentheorie,, Spieltheorie u.a. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Kybernetik eine Universaltheorie;
- b) die Teildisziplin der „speziellen Kybernetik“ fokussiert auf „lernende Automaten“ ,Künstlicher Intelligenz und sich selbst reproduzierende, technische (autopoietische) Systeme (Roboter, Humanoiden etc.).
- c) die Entwicklungen immer leistungsfähigerer Computer- als vollständig programmierbare, steuerbare Systeme.

Zugrunde liegt die Grundüberzeugung, dass man alles Beobachtbare als System beschreiben und alle beschreibbaren Systeme (ver)messen, berechnen, steuern, regeln und programmieren kann, Der Mensch selbst als (biologistisches) System, aber auch z.B. Sozialsysteme sind nach diesem Verständnis berechen- , steuer-, programmierbar (z.B. programmiertes Lernen).

Allerdings ist der Mensch eine fehlerhafte Maschine. Ziel der Wissenschaft ist daher, eine perfekte Maschine zu entwickeln, die sich selbst reproduziert und so den Menschen obsolet werden lässt. Das Internet ist bereits Teil dieser Maschine. Der erste Schritt ist die Auslagerung des „Wissens“, der zweite die Auslagerung des „menschlichen Bewusstseins“ ins Netz , das (End)Ziel (wieder einmal) die Unsterblichkeit. So jedenfalls die Post- und Trans-Humanisten (12).
„Das Verschwinden des Menschen wird hier zum obersten Postulat, das Mängelwesen Mensch hat für eine überlegene Spezies, die offenbar keine menschliche Spezies mehr ist, Platz zu machen. Was, so wird man sich fragen dürfen, lohnt dann noch, über das zukünftige Internet nachzudenken? Es wäre eine Zukunft ohne den Menschen und damit – nur der Mensch hat und weiß um Zukunft – keine Zukunft.“ (Mittelstraß, Internet, 2011, S. 3)
Es ist die wiederkehrende Hybris der Technikgläubigkeit, der immer gleiche Zauberlehrling, diesmal im digitalen Kostüm. Die Gemeinsamkeit ist nicht nur der Glauben an, sondern der Wille zur Manipulation und Fremdsteuerung des Menschen. Dabei ist der Konsument ja willig …
Superintelligenz (Kybernetik II)
„Superintelligenz“ ist ein Begriff der Futurologen aus der Schule der „Singularisten“. Der wissenschaftstheoretische Hintergrund ist:
- a) die Kybernetik (griech: kybernetike), die „Steuermannskunst“, eine formale, fächerübergreifende Theorie, die sich mit der mathematischen Beschreibung von komplexen, dynamischen Systemen und deren Modulierung befasst.
Ziel ist die vollständige Steuerung und Regelung/Programmierung von technischen und natürlichen Systemen. Die allgemeine Kybernetik untersucht Strukturen und Funktionen von Regelsystemen. Disziplinen sind Systemtheorie, Steuerungs- und Regelungstheorie, Informations- und Automatentheorie, Spieltheorie u.a. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Kybernetik eine Universaltheorie;
- b) die Teildisziplin der „speziellen Kybernetik“ fokussiert auf „lernende Automaten“ Künstliche Intelligenz und sich selbst reproduzierende, technische Systeme (Roboter, Humanoiden etc.).
Grundlage ist die Vision, alles als System berechnen und programmieren zu können. Auch der Mensch wird als ein System betrachtet, das sich wie andere, technisches Systeme , steuern und programmieren lässt.
- c) die Entwicklungen immer leistungsfähigerer Computer als vollständig programmierbare, steuerbare Systeme, die zu „autopoietischen (sich selbst reproduzierenden und optimierenden) Systemen werden (das ist die Brücke zum Radikalen Konstruktivismus).
Singularisten und Kybernetiker (möchten) glauben, dass der Mensch immer intelligentere Maschinen baut, die irgendwann so intelligent werden, dass sie sich selbst reproduzieren und dabei so komplex werden, dass der Mensch sie nicht mehr versteht. Das Fernziel aller technischen Entwicklungen sind genau diese, sich selbst reproduzierenden und optimierenden Maschinen, die den Menschen überflüssig machen. Denn der Mensch ist eine fehlerhafte Maschine, Ziel der Kybernetik hingegen die perfekte. Das Internet ist bereits Teil dieser Maschine. Erster Schritt: Auslagerung des „Wissens“ (i). Zweiter Schritt: Transfer des „menschlichen Bewusstseins“ ins Netz. Dritter Schritt (wieder einmal): die Unsterblichkeit. So jedenfalls die Post- und Trans-Humanisten (ii).
„Das Verschwinden des Menschen wird hier zum obersten Postulat, das Mängelwesen Mensch hat für eine überlegene Spezies, die offenbar keine menschliche Spezies mehr ist, Platz zu machen.“ (iii)
Es ist die immer gleiche Hybris der Technikgläubigkeit Der Zauberlehrling, diesmal im digitalen Kostüm. Die Gemeinsamkeit ist nicht nur der Glauben an, sondern der Wille zur Manipulation und Fremdsteuerung des Menschen.
„Was, so wird man sich fragen dürfen, lohnt dann noch, über das zukünftige Internet nachzudenken? Es wäre eine Zukunft ohne den Menschen und damit – nur der Mensch hat und weiß um Zukunft – keine Zukunft.“ (iv)
Bella Digitalia. Brave New World, die zweite.
Prosumer und Prosument (en)
Der Begriff des Prosumer (dt. Prosument(en) wurde 1980 vom Australier Alvin Toffler aus den beiden Begriffen „producer“ (Produzent) und „consumer“ (Konsument) zusammengesetzt. Der „prosumer“ ist nach Tofflers Definition (13) ein „professioneller und/oder produktiver Konsument“, der durch die Preisgabe seiner persönlichen Daten und Präferenzen, durch regelmäßiges Feedback und qualifizierte Mitarbeit bei der Verbesserung von Produkten die markt- und zielgruppenspezifische Optimierung von Produkten ermöglicht.
„Ein Beispiel für den professionellen Konsumenten, also einen Konsumenten mit professionellem Wissen, wäre etwa im High-End-Hi-Fi-Bereich zu finden, in dem Konsumenten häufig sogar explizit als „Prosumenten“ von den Herstellern angesprochen werden, und in dem die Werbung aktiv den Aufbau einer Konsumentenhierarchie fördert, durch die „Normalverbraucher“ dazu aufgefordert sind, sich das Erlangen des Prosumentenstatus zum Ziel zu setzen. In diesem Zusammenhang erreicht man den „Pro“-Level dadurch, daß man einschlägige Zeitschriften abonniert, bei spezialisierten High-End-Händlern kauft, und anderweitig einige Zeit und Mühe in die Erforschung anstehender Kaufentscheidungen investiert. (…) Prosumtion [beschreibt: rl] also nur die Perfektion der Feedback-Schleife vom Konsumenten zum Produzenten“ (14)
Um das Jahr 2000 herum und korrespondierend mit Entwicklungen des Internet unter dem Schlagwort Web 2.0 wird der Begriff des Prosumenten von Kevin Kelly umgedeutet und erweitert für Internet-Aktivisten, die alleine oder in sich selbst organisierenden (Online)Gruppen Inhalte für Web 2.0-Anwendungen erstellen, etwa in Wikis (das bekannteste ist Wikipedia), oder Kompetenzen in Gemeinschaftsprojekte einbringen wie dem Programmieren von „Open Source“-Anwendungen (15).
Der Begriff wurde im Netzalltag ausgedehnt auf Web-User, die ihre Profile und Spielfiguren (Avatare) in virtuellen Plattformen steuern, aber auch auf Nutzerprofile in (euphemistisch so genannten) „social media“-Plattformen (16) wie Schüler- oder Studi-VZ, Frienster, Facebook u.v.a.). Die dort zusammengeklickten (Real- oder Phantasie-) Profile erlaubten ja bislang explizit das Spiel mit phantasierten Identitäten. Gemäß üblicher Web-Terminologie müsste man die Produzenten des selbst generierten Avatars Prosument 2.0 nennen.
„Waren Produktion und Konsum im Zeitalter der Massenmedien deutlich voneinander getrennte Kategorien, so sind im Internetzeitalter die Hersteller und Nutzer von Medieninhalten beide ganz einfach Knoten in einem neutralen Netz und kommunizieren miteinander auf Augenhöhe. Dies stärkt besonders die Nutzer, die jetzt Zugang zu einer wesentlich größeren Palette von Kommunikations- und Kollaborationsmitteln haben.“ (17)
Kommunikation und Kollaboration vermischen und verwischen sich ebenso wie die Begriffe Produzent, Rezipient und Konsument. Zugleich werden implizit weitere Aspekte angesprochen, die für den Wandel des „Rezipienten im Spannungsfeld des digitalen Wandels“ konstituierend sind: das Ende der tradierten, eindirektionalen Massenmedien (1:n). Der Auf- bzw. Ausbau von (Computer-) Netzwerken erlaubt ebenso bi- (1:1) wie multidirektionale Distributionsformen (n:n), auch für (zunächst) unbekannte, aber per Mausklick integrierte, beliebig große Zielgruppen. Aus dem Massenpublikum werden massenhaft (normierte) (18) Akteure. Optional kann jeder Web-User mitarbeiten, uploaden und publizieren. Beispieles sind Wikis, YouTube, Flickr u.a.. Das ganze läuft im Marketingsprech unter Web 2.0, bedeutet aber nichts anderes als Selbstprofilierung als Konsumist.
Chatten: Schwätzen per Tastatur
Der noch fehlende Begriff des Titels „chatten“ bezeichnet eine Variante des „elektronischen Kommunizierens in Echtzeit“ und bedeutet (etymologisch) „plaudern, sich unterhalten“. Es korreliert mit dem, was man umgangssprachlich „schwätzen, ein Schwätzchen halten“ nennt. Ursprünglich ein reiner Text-Chat, gibt es heute auditive oder audiovisuelle Varianten (audio chat; video chat) als bidirektionalen Chat (Facebook – 1:1) oder Videoconferencing (Google+ – n:n). Weiter wird unterschieden in öffentliche und nichtöffentliche Chats und damit in die Fragen, wer teilnehmen kann, ob man sich anmelden muss und ob man sich „kennt“. Durch den Einsatz von „nick names“ (Phantasienamen) bleibt man in i.d.R. anonym.
„Chats“ sind eine technische Variante des „small talk“. Eine Abart davon ist „Twitter“ (twittern: zwitschern), ein technisch auf 140 Zeichen begrenztes Protokoll für Kurznachrichten, die sogenannten „tweets“. Ziel ist es, für das eigene Gezwitscher „follower“ zu finden und im Gegenzug selbst Abonnent (follower) einer Person (oder Gruppe) zu werden. Auch das ist eine Variante des Prosumenten, der etwa alles von „seiner/seinem Prominenten“ konsumiert – oder Tweets wie „Ich esse gerade Eis“ von einem „Freund“ für eine Nachricht hält.
Jugendliche Affinität
Man kann diese ganzen Dienste mit Humor und Abstand betrachten. Aber sie zeigen und spiegeln die Medienwirklichkeit jugendlicher Nutzer.
- 82 Prozent der 14- bis 17-Jährigen und 67 Prozent der 18- bis 29-Jährigen tauschen sich täglich oder fast täglich online mit anderen aus.
- Zwei Drittel der unter 20-Jährigen chatten täglich (twittern aber im Gegensatz zu Erwachsenen kaum und haben keine Tweeds abonniert).
- Ein Drittel der 14- bis 17-Jährigen sagt “Das Internet gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein.” (19)
Es wird deutlich, dass neue Medien und vor allem Kommunikations-Dienste für die „Digital Natives“ (20), als selbstverständliches Referenzmedium dienen – so wie für Babyboomer das Fernsehen oder für die „literarische Generation“ das Buch. Die Art und Weise, wie Informationen für bestimmte Medien aufbereitet werden, unterscheidet sich aber medienspezifisch, ebenso wie die Rezeption. Das ist Konsens seit Marshall McLuhan: „The Medium is the Massage“. (21) Da wir gleichwohl alles, was wir „von der Welt“ (22) wissen, medial vermittelt bekommen unterscheidet es sich eklatant, …
- ob man liest, Fernsehen schaut oder sich durchs Internet klickt;
- dabei aufmerksam und konzentriert monomedial rezipiert oder multitaskend zwischen mehreren Angeboten wechselt;
- ob gerade Jugendliche digitale Medien und hier speziell die sogenannten „social media“-Plattformen als hauptsächlichen und oft singulären Zugang zu Informationen nutzen: Was wichtig ist, höre ich von meinen Freunden aus der Community. (Die wenigsten fragen: Wer sind meine „Freunde“ in Wirklichkeit?)
Es wird deutlich, dass mit „Medien im Spannungsfeld des digitalen Wandels“ deutlich mehr Konsequenzen verbunden sind als der Ersatz von analogen durch digitale Techniken. Es entwickeln sich unterschiedlicher Kommunikationskulturen und Parallelwelten, besonders deutlich zu sehen beim Vergleich von Jugendlichen und Erwachsenen.
„Nicht nur die Kommunikationskulturen der Generationen haben sich auseinanderentwickelt, sondern auch die medialen Erfahrungswelten abseits des Internet. Die Zeitungslektüre wird immer stärker altersgebunden, genauso die TV-Präferenzen, die in der jungen Generation von einer zunehmenden Vermeidung von Programmen gekennzeichnet sind, die umfangreiche politische und wirtschaftliche Informationen anbieten.“ (23)
Das ist nicht neu. Es ist Teil der Pubertät bzw. Adoleszenz. Jugendkulturen stehen notwendig im Dissens zu tradierten Lebenswelten. Gerade bei Jugendlichen haben digitale Medien dabei nicht nur eine besondere Reichweite, weil die Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen damit besonders einfach ist. Jugendliche und junge Erwachsene sind in Phasen der Suche und Orientierung zugleich besonders anfällig für Manipulationen. So ist es erklärtes Ziel von Marketing Scouts, die „Peers“ (24) in jugendlichen Gruppen zu identifizieren und zu beeinflussen. Das ist Teil der Mustererkennung beim Scannen und Auswerten der digitalen Verbindungsdaten. Wer es versteht, diese „Peers“ in seinem Sinn zu lenken, kann so ganze „communities“ steuern. Das ist Ziel nicht nur der Werbung im Web, sondern hier aufgrund der personalisierten Daten und Persönlichkeitsprofile besonders einfach. Wenn ich weiß, was jemand hört, sieht, mausklickt und mit wem er was darüber kommuniziert und damit beeinflusst, wen ganze Gruppen immer transparenter.
II Digitaltechnik als Mittel, Menschen zu verzwecken
Es ist das Privileg der Jugend (und der Digitaljünger aller Altersstufen), sich für neue Techniken und Dienste zu begeistern. Es liegt in der Verantwortung der Nicht-Euphorisierten, (der analog Reflektierenden in Gigerenzers Studierstube z.B., die deshalb keine Dystopisten sein müssen ) auf Zusammenhänge und (gesellschaftliche) Folgen aufmerksam zu machen.
Medienkonvergenz
Das Zauberwort der digitalen/neuen Medien heißt Medienkonvergenz. Es bedeutet zunächst nur, dass die sechs Medienbausteine (Schrift, Grafik, Realbild/Fotografie, Ton/Audio, Animation und Realfilm ) als Inhaltsträger durch Digitalisierung zusammengeführt werden können.

- a) Digitalisierung bedeutet: Nivellierung. Alle Inhalte liegen als Datei vor und werden notwendig als Datei behandelt. Digitale Dienste sind optional auf allen digitalen Endgeräten möglich, ob stationär oder mobil, sofern Protokolle (Software) und Ausgabegeräte (Screen, Lautsprecher etc.) angeschlossen sind.
- b) Medienkonvergenz bedeutet in Verbindung mit Mobilgeräten: Jeder Nutzer ist jederzeit und überall erreichbar (24/7), per Funk vernetzt, via Funkzelle lokalisiert, via Gerät identifiziert: die Voraussetzung für uneingeschränkte Kommunikation und medialen Konsum.
Mit den technischen Gegebenheiten ändern sich sowohl Kommunikations- wie Rezeptionsverhalten. Nur, wer all diese Informationstechniken einsetze, besitze „Medienkompetenz“. Nur dann könne man vollständig an unserer (wahlweise) Medien-, Wissens und Informationsgesellschaft teilnehmen.
So zumindest das Mantra der Anbieter.
Das „Erzeugen von Gruppendruck“ ist nicht nur „Kernkompetenz sozialer Netzwerke“ (25), sondern aller Digitaltechniken und -medien. Teilnahme wird zur Bedingung der sozialen Integration und Zugehörigkeit.
Bella Digitalia. Brave New World, die dritte.
Wechselwirkungen
In Frage steht damit die Autonomie des Einzelnen im Umgang mit „aktuellen, neuen, digitalen, mobilen“ Medien und Diensten. Autonomie bezeichnet sowohl den generellen Einsatz von Techniken als auch die Frage nach Zeitpunkt und Dauer der Nutzung. Autonomie im Umgang mit Medien und Techniken inkludiert nicht nur ob, sondern auch wann, wie oft und wie lange ich sie einsetze, nicht zuletzt: für welchen Zweck. Oder auch: Nutze ich sie überhaupt? Der technische Wandel ist das Eine. Mit und durch neue Medien entwickeln sich zugleich neue Formen der Öffentlichkeit.
„Dass die fraglos gewichtigen Veränderungen der technischen Basis der heutigen Medienkommunikation zwangsläufig Auswirkungen darauf haben, welche Öffentlichkeiten sich bilden können, und wie sie sich zusammenfinden, liegt auf der Hand: wer an welcher Kommunikation, mit welchem Freiheitsgrad der Appropriation und des (räsonierenden wie partizipativen) Feedbacks wie teilnimmt, schafft je unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Zusammensetzung gesellschaftlicher Diskurse.“ (26)
Dieser Wandel hat weitreichende Auswirkungen und Folgen. Ein Blick auf die Wechselwirkungen von Individuum, Medien und Gesellschaft sowie die Einbindung bzw. Wechselwirkung mit technischer Infrastruktur zeigt die folgende Abbildung.

Beispiele; Facebookers Paradise
Facebook, als Beispiel, hat Anfang Juli 2011, über Nacht und wie gewohnt ohne Vorwarnung der Nutzer, eine neue Funktion eingeführt: die automatische Gesichtserkennung auf Fotografien und die Zuordnung von Namen bereits beim Hochladen neuer Bilder in das eigene Facebook-Profil, das „taggen“ (markieren). Ein biometrische Bilderkennung identifiziert Gesichter (faces) und gleicht sie mit anderen Fotografien aus dem Freundeskreis ab: Gesicht erkannt, Gesicht benannt.
Marc Zuckerberg ist am Ziel. War doch seine ursprüngliche Absicht, Fotos seiner KommilitonInnen im Netz zu publizieren und im (männlichen) Freundeskreis über „Vor- und Nachteile“ dieser jungen Frauen zu lästern. Man kann sich die intellektuelle Höhe der Konversation dieser post-pubertierenden College-Jungs vorstellen. Doch scheint diese Anwendung aus (Selbst-) Darstellung über Profile, dem Bereitstellen von Fotos und der begleitenden Kommunikation übers Netz einen Nerv getroffen zu haben. Keine andere Datenbank hat bislang so viele Mitglieder, kein Mitbewerber hat so viele Personenbilder. Täglich werden Bilddateien in dreistelliger Millionenhöhe hochgeladen. Keine andere „community“ ist so freizügig mit personenbezogenen Daten und so lax mit Datenschutzbestimmung:
Jedes „getaggte“ Bild erleichtert die automatisierte Identifizierung von Personen auf neuen Fotografien. Bessere Software, schnellere Rechner und immer mehr Bildmaterial führen zu stetig optimierten Ergebnissen. Sollten Einzelne anicht mitmachen, werden sich „Freunde“ finden, die die fehlende Kennung ergänzt: So werden auch die Gesichter identifiziert, deren Träger nicht in Facebook sind oder ihren Namen nicht eintippen.
Man kann bei Facebook das Löschen beantragen. Die Daten im öffentlich abrufbaren Teil der Datenbank werden gelöscht. Dafür sind sie jetzt vom Fotografierten selbst validiert. Gespeichert bleiben die biometrischen Daten weiterhin. Diese lassen sich, nach Weitergabe an z.B. Behörden, mit biometrischen Passbildern abgleichen. Versuche zur automatischen Gesichtserkennung an Flughäfen und Bahnhöfen, übrigens schon seit mehreren Jahren, sind vielversprechend, denn …
KIT und Fraunhofer zum Rapport (Minority)
Gesichtserkennung lässt sich automatisieren. Das „Karlsruhe Institute of Technology“ (KIT; die Assoziation zum MIT (27) ist Programm) hatte im Sommer 2011 ein Praxisprojekt geplant. Titel: „Parallele Gesichtserkennung in Videostreams“. Ort: Das Fußballstadion des Karlsruher Sportclub (KSC). Anlass: Drei Heimspiele. Einige Forscher sind Fußballfans. Sie haben sich für dieses Experiment fotografieren, die Gesichter biometrisch scannen lassen und die Daten in einer Datenbank hinterlegt. Gefragt war, ob es gelingt, diese Gesichter in einer großen, bewegten, per Videokamera aufgezeichneten Menschenmenge eindeutig zu identifizieren. Nicht alle Fußballfreunde scheinen Freunde der Forschung zu sein. Jedenfalls gab es Proteste gegen das Filmen der Fans. Der KSC zog seine Genehmigung zurück.
Dabei ist das Stand der Technik und nur der erste Schritt. Nach dem individuellen „Taggen“ der Freunde folgt das „Giga-Tagging“, die Personenerkennung und Identifizierung bei Massenveranstaltungen, zunehmend automatisiert. Nach dem Taggen von Standbildern (Fotos) folgt das Taggen von Videoaufzeichnungen, durch die wachsende Datenbasis auch hier zunehmend automatisiert. Identifizierte Personen im öffentlichen Raum werden mit Suchregistern der Polizei abgeglichen. Intelligente Software steuert die Überwachungskameras und folgt den Probanden durch die Stadt bis die Polizei zugreift.
Doch nicht nur gesuchte Personen lassen sich identifizieren. Auch auffälliges Verhalten lässt sich via Mustererkennung herausfiltern. Die Grenze zwischen präventiver Beobachtung und „vorsorglichen“ Eingreifens werden fließend, Science-fiction wie im Film „Minority Report“ real. (28) Zumal auch die Mimik im Fokus der Forscher liegt. Das Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen IIS in Erlangen (29) analysiert Gesichter nach Stimmungslage und bietet entsprechende Software an. Marketinger fabulieren schon davon, durch einen Gesichts-Scan dem Kunden bereits beim Betreten des Ladens die Befindlichkeiten und Wünsche „vom Gesicht ablesen“ und je nach Stimmungslage anders reagieren zu können.
Auch Google hält ein entsprechendes Tool bereit. „Goggles“ heißt das Werkzeug und ist (aus datenschutzrechtlichen Gründen, so Google) noch nicht im Einsatz. Aber da sich aktuell Google+ als Konkurrenz zu Facebook etabliert und sich dort zwar ältere, gleichwohl digital vernetzte Menschen organisieren, wird Goggles (oder ein anderes Tool) auch dort bald seine Dienste tun. Es ist bequem, Freunde nicht selbst taggen zu müssen. Die eingangs erwähnten Rollenspiele mit „gefakten“ Phantasienamen und ausgedachten Profilen haben so natürlich ein Ende. Es ist ein Frage der Zeit, bis die unterschiedlichen Accounts, Namen und Rollen, die man sich im Netz zugelegt hat, durch den automatisierten Abgleich der Bilder aufgrund biometrischer Daten zusammengeführt werden. Die Strategie der systematischen Vervielfältigung der eigenen Profile (falsche Bilder mit echtem Namen, echte Bilder mit falschen Namen nach dem Motto „Wer bin ich und wenn ja: wie viele“?) funktioniert dank Google+ nicht mehr.
Der digitale Imperativ
Hier ließen sich beliebig viele weitere Anwendungen referieren. Fast täglich kommen neue „Apps“ (Applikationen, eigenständig ablaufende Anwendungen für Rechner und Smartphones) dazu und werden in der Tagespresse und im Web (nicht selten euphorisch) gehypt. Aber jede Netzaktivität hat Folgen.
Letztes Jahr hatte ich Eric Schmidt zitiert und das Googlesches Imperativ formuliert:: „Wenn Du nicht willst, dass etwas im Netz steht, solltest Du es nicht tun.“ (30) Es ist eine Unterlassungsempfehlung bei Androhung sofortiger Publikation der mitgeschnittenen Bilder, Texte , Telefonate …
Ein Jahr später lautet der zweite digitale Imperativ ergänzend: „Wenn Du nicht willst, dass etwas im Netz steht, solltest Du Dich nicht mehr im öffentlichen Raum bewegen. Irgend jemand zeichnet immer (alles) auf.“ Die analoge Welt wird plötzlich erschreckend klein, wenn man nicht aufgezeichnet werden will. Aber auch die vielbeschworene digitale Welt des Netzes ist nur offen, wenn man bereit ist, mit jedem Mausklick und jeder Tastatureingabe mehr Informationen über sich preiszugeben, ohne zu wissen, wer was mit diesen Daten anstellt. Immerhin Man wird aufgezeichnet. Man hat „dokumentiert“ gelebt.
Eric Schmidt prognostizierte bei einem Vortrag in Berlin (31), dass es im Jahr 2029 Festplatten für 100 Dollar gäbe, die sechshundert Jahre lang täglich 24 Stunden Video aufnehmen und speichern könnten. Damit könne man nicht nur das gesamte eigene, sondern auch das Leben mehrerer Generationen live aufzeichnen. Unnötig zu sagen, dass man alles in Netz stellt und Google damit seine Datenbanken füttert. Die Frage, die Schmidt auslässt, ist: „Wozu?“ Immerhin liefert er seine Einschätzung der Internetnutzer mit (weswegen sich die Frage aus seiner Sicht nicht stellt):
„Ich denke, die meisten Menschen möchten, dass Google ihnen sagt, was sie als nächstes machen sollen.“ (Interview mit dem Wall Street Journal, 2010)
Bella Digitalia. Brave New World, die vierte.
Digitaltechnik ist das Mittel, den Menschen zu verzwecken.
Handlungsstrategien
Was tun? Der erste Schritt ist trivial, aber unvermeidlich: Abschalten. Man muss zur Besinnung kommen zum Nachdenken (Gigerenzer Studierstube):
„Wenn man kontinuierlich sozial vernetzt ist und sich keine Zeit nimmt, zum eigenen Nachdenken, dann können sich keine kreativen Prozesse entfalten. Wir vernichten unsere kreative Potenziale durch den Terror der Kommunikation.“ (Pöppel, zit. n. Mittelstraß, Internet, S. 8)
Der zweite Schritt ist schwieriger: Sich Abmelden aus den kommerziellen, nicht transparenten Diensten. Die digitale Welt wird im Moment aufgeteilt zwischen wenigen Konzernen: Apple, Amazon und eBay, Facebook und Google, die immer mehr Dienste auf ihren Plattformen verbinden, sogenannte Portale. Ziel ist die Monopolisierung der Netzzugänge: der Nutzer bekommt alle Inhalte und Dienste bei einem Anbieter, einschließlich Anwendungssoftware und Speicherplatz in der Cloud. Auf neudeutsch: all inclusive. Auf werbisch: Nur wo der Nutzer ist, wird für Werbung bezahlt. Darum soll er auf der Portalseite bleiben. Meine Empfehlung: Tun Sie es nicht, auch wenn es „bequemer“ scheint. Wechseln Sie Anbieter und Dienste.
Der dritte Schritt: Haushalten. Seien Sie sparsam mit Daten. Geben Sie nur notwendige Informationen ein und wählen Sie die Anbieter sorgfältig aus. Denn alle wollen nur „Ihr Bestes“: Personalisierte und validierte Daten, gerne mit ergänzenden Bewegungsprofilen durch Mobilgeräte, optional ergänzt um Daten der Kreditkarte und (demnächst) der Gesundheitskarte. Ziel ist der optimal bespielbare User, den man durch exakte Profile immer zielgenauer mit Angeboten und Anwendungen „bespielt und bespaßt“. Bedingung sind der „transparente User“ und „Ende der Privatheit“ (Zuckerberg). Es ist die Reduktion des Menschen auf Verhaltensmuster. Es ist das Ende der Individualität:
„Das Private, eine wesentliche Voraussetzung von Selbstbestimmung, die als normative Kategorie stets mehr bedeutet als Selbstverwirklichung, geht ebenso wie das Korrektiv der Erfahrung verloren – und könnte sich als etwas herausstellen, das man vor sich selbst schützen muß. ‚Data mining‘ treibt das Ich, das autonome Subjekt, vor sich her.“ (Mittelstraß, Internet, 2011, S. 9)
Aber nehmen Sie es nicht persönlich. Weder Zuckerberg, noch „iGod“ Steve Jobs, weder die Googlianer Schmitt, Page oder Brin (oder irgend ein anderer Diensteanbieter) ist an Ihnen als Person interessiert: Verkauft werden Profile, der Wert eines Users bemisst sich nach dem Detaillierungsgrad seines Profils. „It’s economy, stupid.“ (Bill Clinton).
Brandneue Internetdienste wie Twitter Grader, PeerIndex oder Klout (32) protokollieren ergänzend die Aktivitäten jedes Einzelnen in den Netzwerken und ermitteln anhand der Aktivitäten und der Reaktionen darauf den „Wert“ jedes Users auf einer Skala zwischen 1 und 100. Diese Kennzahl berechnet sich aus den Aktivitäten des Users und seiner Resonanz als Multiplikator im Netz. Wer viel twittert, chattet oder bloggt und viele „friends“ und „follower“ anzieht, steigt im Wert. Präsenz, Aktivität und Resonanz sind das Maß, um eine höhere Kennzahl in einem ausgedachten Index zu ereichen.
Es geht auch einfacher.
Am 27.04.2010 18:53, schrieb Prof. X: Hallo zusammen, beim Eco-Marathon brauchen wir Unterstützung. Der Wettbewerb hat über 300.000 Stimmen! Die müssen mit bots arbeiten, wer kennt schon Chemnitz? Gruß X.X.
29.04.2010 08:09 Uhr, schrieb Prof. X: Hallo, danke für die Unterstützung! War mir klar, dass Y-Leute bessere bots schreiben. Unser Favorit liegt jetzt mit großem Abstand vorne. Gruß X.
Diese eMails sind echt, nur anonymisiert. Gerade mal einen Tag später und eine „Meinungsumfrage“ ist komplett gekippt. Es gab weder finanzielle Interessen noch Aussicht auf Drittmittel o.ä.. Gesucht war das sympathischste Team. Welche Mittel und Ressourcen eingesetzt werden, wenn es tatsächlich „um etwas geht“, mag sich jeder selbst ausmalen. Es gibt jedenfalls kein anderes Kommunikationsmittel, dass so einfach manipuliert werden kann.
Erst beim vierten Schritt wird es interessant: Gelingt es, Techniken und technische Infrastruktur des Web und Internet human zu nutzen? Kommunikationstechniken sind für sich ja nicht gut oder schlecht, sondern nur das Spiegelbild der Anbieter und Nutzer.
Für Betriebssysteme gibt es bereits Alternativen zu den Monopolen (Microsoft Windows) und Steve Jobs (Mac OS): Linux-Varianten. Gleiches gilt für (fast alle Gebiete von) Anwendungssoftware (Open Source). Offen ist noch die Entwicklung von Kommunikationsstrukturen und Applikationen, mit denen die Kommunikation möglich ist, ohne sich zu prostituieren, also die vollständige Kontrolle der Nutzer über ihre Daten. Das ist natürlich schwieriger, als einen Briefträger zu überführen, der Briefe öffnet. Aber das Recht auf Kommunikation und Kontakt darf nicht gekoppelt sein an potentielle Überwachung und Kontrolle.
Notwendig ist die Problematisierung des derzeitigen Umgangs mit Daten, um anschließend demokratische und bürgerfreundliche Lösungen zu entwickeln. Das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“, in Deutschland weitestgehend gesichert (Ausnahme: Bundestrojaner& Co,), ist im Netz eine Farçe und international schwer durchzusetzen. Aber das gilt für alle demokratische Rechte. Die Problematisierung liegt zeitlich notwendig vor der Problemlösung, zu formulieren ist daher:
„Grundrecht vor Rendite, Demokratie vor Ökonomie, Stupid“.
Dazu gehört übrigens auch der Verzicht auf die „Anonymität“ im Netz.
Erstens ist es eine Scheinanonymität. Für Google, Facebook & Co. sind personalisierten Daten die Geschäftsgrundlage für personalisierte Werbung. Diese amerikanischen Unternehmen leben vom Verkauf der Perosnendaten. Zweitens bekommen Ermittlungsbehörden und Geheimdienste die Echtdaten auf Antrag, die amerikanischen auch ohne Antrag für alles, was über amerikanische Server läuft, also (so gut wie) alles. In dem von Google veröffentlichten „Transparenzbericht“ (33) fehlen denn bezeichnenderweise auch jegliche Angaben zu Anfragen von US-Behörden, da alle Anfragen, die unter den „Patriot Act“ fallen, geheim bleiben müssen, also: alle.
Zweitens gehört es zum demokratischen Selbstverständnis, dass die vom Grundgesetz zugesicherte Rede- und Meinungsfreiheit auch vom Redner bzw. Publizisten persönlich verantwortet wird. Das Recht der Meinungsfreiheit ist ein Persönlichkeitsrecht. Er oder sie trägt demzufolge die Verantwortung für das Publizierte. Diese Verantwortung kann auf Rechtspersonen (z.B. Verlag oder Sendeanstalt) übertragen werden, nicht auf eine anonyme, technische Infrastruktur (Netz) oder einen technischen Dienstleister (Provider). öffentlich publiziert übernimmt dafür die Verantwortung. Das ist Bedingungen für demokratische Meinungsbildungsprozesse.
Drittens sollte man sich von modischen Schlagworten wie „crowd intelligence“, „liquid democracy“ u.ä. verabschieden. Wer glaubt, sich per Mausklick politisch zu betätigen, hat entweder die Struktur digitaler Technik und deren Manipulationspotential nicht einmal im Kern verstanden oder überantwortet „Meinungsbildungsprozesse“ vorsätzlich denen, die technisch und/oder finanziell am potentesten und bzw. rücksichtslosesten sind: Monopolisten und Autokraten. Wo bleibt, fragt man sich, die Gegenwehr? Wer „hackt“ Google, Facebook & Co. oder publiziert als „Whistleblower“, welche Datensätze über jeden Einzelnen dort hinterlegt sind? Oder wie diese Datenbanken miteinander verknüpft sind?
Der abschließende Schritt ist dann tatsächlich mühsam: Selbst agieren statt zu konsumieren (oder das eigen ZweiPunktNull-Profil optimieren). In Frage steht: Wer braucht welches Netz für welchen Zweck? Was für ein Netz etablieren wir, nicht, weil es technisch möglich ist (und sich Geld verdienen lässt), sondern weil der Mensch als soziales Wesen kommuniziert und Kommunikation, Öffentlichkeit und Transparenz die Grundlagen der Demokratie sind?
Gelingt es, neben dem Kon- und Prosumer-, neben dem militärischen und dem Wissenschaftsnetz, Strukturen zu etablieren, die die demokratische Gesellschaft stärken? In Frage steht, ob sich im weltweit normierten, zunehmend zentralisierten Netz (Stichwort: Cloud Computing) autokratische Monopole festigen und ihre User als Konsumisten nach Renditeerwartungen medial sedieren und sinnfrei mit dem Erstellen von Profilen und (neu) z.B. „Timelines“ beschäftigen (die „Synchronisation“ von analogem und digitalem Leben durch Upload von immer mehr Texten, Bildern, Videos) – oder Alternativen entwickelt werden. Das Netz ist Infrastruktur. Was daraus wird, entscheiden wir als die Nutzer.
Epilog
Gigerenzer: „Mittlerweile aber hat sich das Center (34), wie andere Institutionen auch, der Technologie ergeben. Heute erwarten die Menschen im Zustand ständiger Alarmbereitschaft die nächste Email, die nächste SMS, als versprächen sie sich von ihnen die endgültige, weltbewegende Erkenntnis. Ich finde es erstaunlich, dass Gelehrte der „denkenden Zunft“ ihre Aufmerksamkeit so leicht von außen beherrschen und einem Minutentakt unterwerfen lassen – wie jemand, der bereit ist, ein gutes Gespräch auf das Klingeln eines Handys hin zu unterbrechen. Würden jede Sekunde neue Mitteilungen auf meinem Bildschirm auftauchen, könnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen.“ (35)
Taleb: „Also habe ich mich mittlerweile auf Internetdiät gesetzt, (…). Ganz versage ich mir das Netz nicht; es handelt sich lediglich um eine strenge Diät mit strikter Rationierung. Zweifellos sind Technologien großartige Errungenschaften, aber sie haben viel zu scheußliche Nebenfolgen, die man zumal kaum je vorhersieht. Und seitdem ich mehr Zeit in der lauschigen Stille meiner Bibliothek verbringe, in der es kaum Informationsverschmutzung gibt, spüre ich, dass dies meinen Genen entspricht. Ich habe das Gefühl, ich wachse wieder.“ (36)
Literatur und Quellen
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Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Berlin: BWV
Anmerkungen
- Gerd Gigerenzer in: Schirrmacher, Internet, 2010, S.3; Gerd Gigerenzer ist Psychologe und seit 1997 Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, sowie seit 2008 Direktor des Harding Zentrums für Risikokompetenz; http://www.mpib-berlin.de/de(mitarbeiter/gerd-gigerenzer; Zugriff: 2. Mai 2011
- Kevin Kelly in: Schirrmacher, Internet, 2010, S.29, Forts. S. 31; Kevin Kelly ist laut FAZ-Artikel “Editor-at-Large des Magazins „Wired“ Er selbst bezeichnet sich auf seiner Website www.kk.org als “Senior Maverick of Wired” das er 1993 mitbegründete. Sein 1994 erschienenes Buch „Out of Control. The New Biology of Machines, Social Systems, and the Economic World“ diente als eine der Anregungen für den Film „Matrix” der Brüder Wachowski.
- Dieses „in sich Ruhen bei der Arbeit“ beschreibt man in der Kreativitätsforschung als „Flow“ (Csikszentmihalyi , Kreativität, 1997, 162ff u.v.m.), ist aber nicht auf kreative Arbeit beschränkt, sondern kann bei jeder Tätigkeit erfahren werden, die ihren Zweck in sich selbst hat und die man konzentriert und unterbrechungsfrei (!) ausübt: gärtnern, kochen, werken …
- Validation und Falsifikation als Methoden, Fallibilismus (die Vorläufigkeit jeglichen Wissens) als dazugehöriges Axiom sind die Grundprämissen des Kritischer Rationalismus, den Sir Karl Raimund Popper in der Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis und dessen Neopositivismusentwickelte. Siehe dazu: K. R. Popper: Logik der Forschung, 1935; dazu kompakt: Mittelstraß, Enzyklopädie, 2004, Bd. 3, S. 466f
- Kelly, ebda. Es ist eine Besonderheit des Web 2.0, dass alle Informationen, Quellen und Autoren nach dem Selbstverständnis der „user“ gleichberechtigt sein sollen. Expertenwissen ist verpönt. Jeder aktiv Beteiligte beansprucht die gleichen Rechte. Die propagierte „Demokratisierung“ führt zu einer qualitativen Nivellierung. Nicht Fachwissen oder Kompetenz entscheiden, sondern die Penetranz der Präsenz; Wer am konsequentesten Texte anderer überschreibt, bestimmt, was im Wiki stehen.
- Im Juli 2011 ist ein ernsthafter Facebook-Konkurrent gestartet: Google+ (Google Plus), quasi ein „Facebook für Erwachsene“. Allerdings muss man sich dort mit seinem echten Namen oder Mobilfunk-Nummer anmelden. Das anonymisierte Mitmachen unter Pseudonym oder Nick-Name wird unterbunden, erste Teilnehmer mit Nicknames von Google gelöscht.
- Die (vermeintliche) Anonymität im Web erlaubt das Spiel mit Identitäten. Der positive Aspekt ist der spielerische Umgang mit und das Ausprobieren von unterschiedlichen Charakteren und Rollen, die man aus anderen Kontexten kennt, beim Improvisationstheater bzw. generell beim Theater- oder bei Rollenspielen. Das negative Potential ist ebenso präsent. So erlaubt es die Anonymität, Kontakte zu Kindern oder Jugendlichen zu knüpfen und deren Unbedarftheit auszunutzen oder unter diesem Deckmantel andere Teilnehmer zu kontaktieren und ggf. zu manipulieren. Selbst Erwachsene könne die Gefahren der digitalen Kommunikation nicht korrekt einschätzen. Siehe dazu exemplarisch Thomas Ryan (Thomas Ryan: Getting in bed with Robin Sage, Black Hat Conference, July 28-29 2010, Cesars Palace Las Vegas). Ryan gelang es mit Hilfe eines weiblichen Avatars, Informationen von amerikanischen Geheimdienstlern und Rüstungsunternehmen zu bekommen. Siehe dazu Lankau, Datenspur, 2011
- Exemplarisch: Raymond Kurzweil, The Age of Spiritual Machines. (dt. Homo S@piens, 1999)
- anthropos = griech. Mensch; morphe = Form: die Menschwerdung der künstlichen/techn. Form.
- AI: Artificial Intelligence (engl.) bzw. KI: künstliche Intelligenz (d.).
- Alternativ kann man auch Menschen als „Mietavatare“ anheuern, die dann unter dem Namen des Auftraggebers in Online-Games spielen, Punkte sammeln, höhere Levels erkämpfen, den Kontakt zum „Clan“ aufrecht erhalten etc.: Miet-Spieler statt Mitspieler oder besser: moderne Miet-Sklaven. Aber das ist eine andere Diskussion.
- Mittelstraß, Internet, 2011, S. 3
- Alvin Toffler: The Third Wave, New York: Lang, 1980; dt, Die dritte Welle, München: Goldmann, 1980
- Bruns, Blogs, 2008, o.S.; Übersetzung eines gekürzten Auszugs aus Kapitel 2: Bruns: Blogs, Wikipedia, Second Life, and Beyond: From Production to Produsage. New York: Peter Lang, 2009
- Open Source: Software wird gemeinsam und kostenfrei entwickelt und allen Interessenten kostenlos zur Verfügung gestellt. Man kann sie kostenfrei einsetzen und auch selbst den Source-Code verändern, sollte diese Änderungen aber wieder lizenzfrei ins Netz stellen.
- Beschönigend (euphemistisch) weil Ziel dieser Plattformen das Sammeln und Verknüpfen personenbezogener Daten ist, aus denen via Mustererkennung immer genauere Nutzerprofile generiert werden.
- Bruns, Produtzer, 2009, o. Seitenzahl; S. 2 des PDF
- Normiert, da die Aktionsmöglichkeiten und der Textumfang technisch determiniert sind Wie individuell oder originell ist es, freiwillig zu tun, was alle anderen „freiwillig“ tun, etwa immer umfangreichere Profile über sich selbst ins Netz zu stellen?
- Allensbach-Studie „Gesprächskultur in Deutschland 2.0: Wie die digitale Welt unser Kommunikationsverhalten verändert“, 2010; www,gespraechskultur.de. Es gibt eine Vielzahl weiterer Studien zu Jugendlichen und Internet, immer mit der gleichen Tendenz: intensive Nutzung neuer Medien, Internet als Leitmedium mit zunehmender Dominanz und zunehmender Ausschließlichkeit, starke Relevanz der und Beeinflussbarkeit durch soziale Medien (Peers).
- Digital Natives: Kinder und Jugendliche, die bereits mit Computern und Internetdiensten aufgewachsen sind. Es ist eine soziologische Kategorie der Klassifikation von Menschen nach dem (vermeintlichen) Leitmedium. Die literarische Generation (Leitmedium Buch) und die Baby-Boomern (Leitmedium TV) sind hingegen „digital Immigrants“, die den Umgang mir Rechnern mühsamer, weil später in der eigenen Lernbiographie lernen. Vielleicht wird aber auch nur ein Werkzeug als Werkzeug genutzt und anders eingesetzt?. Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihrem Rasenmäher oder der Telefonanaloge? Und mit dem Computer?
- Marshall McLuhan: The Medium ist the Massage, 1967; dieses zweite Buch von McLuhan nach „Die Gutenberg-Galaxis“(1962) gewinnt gerade wieder an Aktualität, da Mcluhan und Neil Postman u.a. darauf hinweisen, dass Medium und Inhalte sich wechselseitig bedingen. Die (technische) Form der Kommunikationsmittel determiniert bzw. dominiert die Inhalte. Man übertrage diesen Gedanken auf aktuelle Dienste wie Twitter, Blogs oder Chats. Zudem ist die Geschichte des Satzfehlers – aus dem ursprünglichen Titel „The Medium is the Message“ (Das Medium ist die Botschaft) wird beim Satz das von da an propagierte „Das Medium ist Massage“ – viel zu gut, um (nicht?) erfunden zu sein. Aber ein Großteil der Kommunikationsdienste im Netz spiegelt genau diese (Selbst-)Massage des narzistischen Ego. Allerdings ist auch das nicht originell: Walter Benjamin zitiert in seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ (1936) Aldous Huxley, der sich über die zunehmende Vulgarität durch technischen Fortschritt, technische Reproduzierbarkeit und Rotationspresse echauffiert. Es würde nur quantitativ mehr produziert, statt einer würden heute 20 oder 100 Seiten veröffentlicht, aber nur der Abhub würde größer. (Kap. XI, Fussnote 21). Quantitativ wird heute so viel wie publiziert und gesendet wie nie.
- Luhmann, Massenmedien, , 1996, S. 9
- Allensbach-Studie 2009, Kommunikation, Summary_studie.pdf. S.1
- Peers: (Nicht nur) Junge Menschen suchen Vor-Bilder, spielen Rollen (nach) und orientieren sich an sogenannten „Peers“, Vorbildern aus dem Spektrum (sozial) Gleichgestellter.
- Rieger, Datensatz, 2010, S. 33
- Adolf; Stehr, Öffentlichkeit, 2010, S. 5
- Massachusetts Institute of Technology (MIT), eine private Technische Hochschule in Cambridge, USA, eines der weltweit bekanntesten Institute für technologische Forschung.
- Aufgabe der „Pre-Crime“-Agenten im Film „Minority Report“ ist es, Morde zu verhindern, indem mögliche Gewalttäter von durch Medikamente zu gedankenlesenden Medien („Precogs“, Präkögnition) gemachten Personen vor der Tat identifiziert, von der Polizei vorsorglich verhaftet und in einem bewusstlosen Zustand aufbewahrt. werden.
- Siehe Fraunhofer Institut IIS, Kognitive Systeme,, http://iis.fraunhofer,de/bf/bv/ks/gpe/index.jsp; Zugriff 3, August 2011
- Bernau, Schmidt, 2010, S. 4; Lankau, Datenspur, 2011
- Schmidt, Future, 2011
- Kreye, Selbstwert, 2011, S. 11
- www.google.com/transparencyreport; der 2011 veröffentlichte, vierte Report
- Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences“ in Palo Alto
- Gigerenzer in: Schirrmacher, Internet, 2010, S. 31
- Taleb in: Schirrmacher, Internet, 2010, S. 29, des Buchs „Der schwarze Schwan“, Hanser, 2008
- i Die notwendige Differenzierung von Daten, Datenträgern, Wissen und Erkenntnis bleibt offen. Fixieren/Speichern lassen sich immer nur Daten, Aber so wenig, wie die Bücher in einer Bibliothek „Wissen“ sind (sondern Speichermedien), so wenig sind gespeicherte Daten „Wissen“. Zu „Wissen“ werden Daten durch das rezipierende Bewusstsein und das bleibt dem Menschen vorbehalten, ebenso wie Erkenntnisse. Maschinen können Daten kulminieren und auswerten, Aktionen starten etc, es bleiben immer notwendig vordefinierte Programmfunktionen. Andernfalls entsünde ein instabiles System mit der Folge
- ii Mittelstraß, Internet, 2011, S. 3
- iii Ebda.
- iv Ebda.