Weltweite Diskussion über Smartphoneverbote in Schulen – nur Deutschland schläft
Regierungen weltweit verbannen Smartphones aus den Schulen und reduzieren den Einsatz von Tablets und Laptops in Kitas und in den Schulen im Unterricht.
In Frankreich gilt bereits seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, 2018 erweitert zum Komplettverbot internetfähiger Geräte wie Handys, Tablets und Smartwatches in allen Räumlichkeiten und bei schulischen Aktivitäten auch außerhalb des Schulgebäudes. Die Niederlande führen 2024 ein Smartphone-Verbot ein. In Schweden wurden nach dem Bericht des Karolinska-Instituts von 2023 die Tablets aus Vor- und Grundschulen wieder entfernt und stattdessen Schulbücher gedruckt und an die Schulen geliefert.
Jedes vierte Land weltweit verbietet laut UNESCO-Bericht „2023 Global Education Monitor“ ( Technology in Education – Full Report /; die Zusammenfassung: Technology in Education – Summary ) aktuell private Geräte in der Schule, damit Kinder und Jugendliche sich wieder auf den Unterricht konzentrieren (können), sich in den Pausen bewegen und miteinander kommunizieren. Immer mehr Länder formulieren darüber hinaus konkrete Empfehlungen für den IT-Einsatz in Schulen.
Ein paar Beispiele …
Dänemark
Empfehlungen zur Bildschirmnutzung für Grundschulen und außerschulische Programme
Die dänische Agentur für Bildung und Qualität gibt jetzt Empfehlungen zum Einsatz von Bildschirmen in Grundschulen und außerschulischen Programmen heraus, nachdem der sozialdemokratische Minister für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, sich im Dezember 2023 dafür entschuldigt hatte, dass die dänische Regierung Jugendliche zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht habe. (Übersetzung und Link zur dänischen Seite.)
Schweden
Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung
Die schwedische Regierung machte ihre Entscheidung, Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, rückgängig. Die neue Position fußt wesentlich auf der (hier in Schwedisch und Deutsch zur Verfügung gestellten) Stellungnahme des Karolinska Instituts. (Übersetzung P. Hensinger und R. Lankau).
Italien (heise.de; 22.2.2024)
Ohne Ausnahmen: Italien will Smartphones und Tablets an Schulen ganz verbieten
Italiens Regierung will Smartphones und Tablets komplett aus Kindergärten und Schulen für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 14 Jahren verbannen. Ein seit 2007 geltendes Verbot von Mobilgeräten für die nicht schulische Nutzung in Kindergärten und Grundschulen [soll] auf die Sekundarstufe I ausgeweitet werden. Auch die Nutzung für Unterrichtszwecke soll untersagt werden.
Groß Britannien
Mobile phones in schools. Guidance for schools on prohibiting the use of mobile phones throughout the school day (Leitfaden zu Mobile Phones in Schulen ;engl.)
Die britische Regierung plant ein Verbot von Smartphones die Schulen. Dadurch sollen Ablenkungen und Mobbing reduziert werden. “Eines der größten Probleme, mit denen Kinder und Lehrer heute konfrontiert sind, ist die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Smartphones in unseren Schulen”, begründete die britische Bildungsministerin Gillian Keegan das Vorhaben. Ziel ist, ein allgemeines Verbot durchzusetzen. Da dass Erarbeiten einer Gesetzesgrundlage viel Zeit benötigen werde, habe man vorab Leitlinien für den Umgang mit Smartphones an Schulen herausgegeben. Lehrerverbände kritisieren den Vorstoß der konservativen Regierung.
Siehe auch heise.de: Leitlinien der Regierung: Englands Schulen müssen Handys verbieten
Irland
Irische Stadt beschließt Smartphone-Verbot in Grundschulen
Eltern und Lehrkräfte an acht Grundschulen im irischen Greystones vereinbarten in einem freiwilligen „No smartphone voluntary code“, dass Kinder bis zur Sekundarschule privat und in der Schule kein Smartphone haben dürfen. (Bericht des The Guardian vom 3. Juni 2023)
Kanada (KNA)
„Handyverbot an Schulen? – Bildungsexperten sind dafür
Von Nina Schmedding, KNA, 23.2.2024
„In Kanada etwa sind Handys mittlerweile im Unterricht der Grundschule bis zur sechsten Klasse häufig verboten“. (…) In den Schulen gibt es in dem Land, das 15 Jahre Erfahrung in der Digitalisierung hat, oft Handyschränke in den Klassen: Die Kinder legen hier ihre Geräte hinein, wenn sie in die Schule kommen. Nur nach ausdrücklicher Aufforderung dürfen sie sie herausnehmen. „Viele skandinavischen Länder, aber auch Kanada oder Neuseeland, die ihre Schulen schon vor Jahren und lange vor uns digitalisiert haben, rudern zurück: Sie haben festgestellt, dass das Ablenkungspotenzial von Handys im Unterricht zu hoch ist“
„Die Faktenlage ist eindeutig: Zu viel kindlicher Medienkonsum führt zu Konzentrationsverlusten, Schlafstörungen, Gewichtszunahme und schlechteren schulischen Leistungen. Insofern wäre ein Handyverbot an Schulen durchaus sinnvoll.“, so der Kinderarzt Thomas Fischbach, ehemaliger Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). zit. n. „Handyverbot an Schulen? – Bildungsexperten sind dafür“ Von Nina Schmedding (KNA)
Neuseeland
Neuseeland will Smartphones in Schulen verbieten
Der neue Ministerpräsident von Neuseeland, Christopher Luxon, hat angekündigt, Smartphones an Schulen im ganzen Land zu verbieten. um die Konzentration zu fördern und den Schülerinnen und Schülern zu helfen und ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu verbessern. Neuseeländische Schulen waren führend in Sachen Lesekompetenz, doch die Lese- und Schreibfähigkeiten seien so stark zurückgegangen, dass einige Wissenschaftler eine Schulkrise befürchten. Das Verbot werde störendes Verhalten stoppen und den Schülern bei der Konzentration helfen, sagte Luxon.
„Wir werden in ganz Neuseeland Handys in Schulen verbieten. Wir wollen, dass unsere Kinder lernen, und wir wollen, dass unsere Lehrer unterrichten.“ (zit. n. Tagesschau vom 1.12.2023)
UNESCO-Bericht zu IT in Schulen fordert mehr Bildungsgerechtigkeit
Die UNESCO hat den Einsatz von Digitaltechnik in Schulen weltweit untersucht und die Ergebnisse mit dem Bericht „2023 Global Education Monitor“ vorgelegt. Das Ergebnis: Bei den aktuellen IT-Konzepte für Bildungseinrichtungen stehen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt, sondern wirtschaftliche Interessen der IT-Anbieter und Aspekte der Datenökonomie.
Jugendschutz in den USA
Utah/USA: Jugendschutz im Netz: Utah Protecting Minors Online:
Das Parlament von Utah hat im November 2023 beschlossen, soziale Medien zur Rechenschaft zu ziehen bzw. für die gesundheitlichen und psychischen Folgen ihrer Angebote im Netz in die Pflicht zu nehmen („Holding Social Media Accountable“) Die beiden Gesetze (Senate Bill 152 und House Bill 311) schränken die Social-Media-Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen ein, um sie zu schützen. Die Gesetze legen ein Nutzungsverbot zwischen 22.30 Uhr und 6.30 Uhr fest, verlangen Altersnachweise für Apps, verbieten Werbung an Minderjährige und – ganz entscheidend – die Verwendung von Designelementen oder Funktion, die bei Minderjährigen eine Abhängigkeit von (Social-)Media-Plattformen verursachen. Die Sperrung von Konten von Minderjährigen in Suchergebnissen wird ebenso Pflicht wie das Verbot von Direktnachrichten von Externen an Kinder, zwei Funktionen, die von Erwachsenen zur Kontaktaufnahme mit Kindern missbraucht werden. Die gleichen Mechanismen werden in Computer Games eingesetzt, um Bildschirmzeiten zu verlängern.
Siehe dazu: Die Botschaft des Gouverneurs
In Utah/USA hat der republikanischen Gouverneur Spencer Cox ein Gesetz unterzeichnet, das die Social-Media-Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen stark eingeschränkt und die anbietenden Unternehmen in die Pflicht nimmt.
Für Minderjährige werden in den USA zum Teil sogar zu Hause die Netzdienste reglementiert, indem Zugänge personalisiert und z.B. bestimmte Angebote für Kinder und Jugendliche nachts gesperrt werden wie in Utah/USA (s.o.). In den USA hat diese Entwicklung mittlerweile sogar zu einer Sammelklage gegen Meta geführt:
Sammelklage wegen Gesundheitsschäden bei Jugendlichen gegen Meta (Facebook)
Das Unternehmen Meta (vormals Facebook) nutze mächtige und beispiellose Technologien, um Kinder und Jugendliche auf die eigenen Seiten und in die Falle zu locken, um dadurch Gewinne zu erzielen, heißt es in einer Klageschrift, mit der mehr als 40 US-Bundesstaaten den Facebook-Konzern wegen Gesundheitsgefährdung von Kindern und Jugendlichen verklagen. Die Bundesstaaten werfen dem Konzern vor, seine Onlinedienste „auf manipulative Weise so zu gestalten, dass Kinder abhängig werden und zugleich an Selbstwertgefühl verlieren“
Weltweite Diskussion über Smartphoneverbote und die Folgen von IT für Kinder und Jugendliche – Deutschland …
In Deutschland wird ein verbindliches Smartphone-Verbot weder diskutiert noch geplant. Als Vorwand dient die föderale Struktur des deutschen Bildungssystems, nach der solche Entscheidungen Ländersache seien. Auch finden sich immer Juristen, die behaupten, dass Verbote in die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte des Einzelnen eingreifen würden. Beides ist sachlich nicht haltbar. Auch in föderalen Strukturen kann man sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, wenn die Notwendigkeit erkannt ist. Zudem können sowohl die Länder, noch einfacher aber einzelne Schulträger generelle Verbote und Richtlinien für ihre jeweilige Schule festlegen und durchsetzen. Bezeichnenderweise machen Privatschulen und teure Internate genau das, mit Zustimmung der Eltern.
Es ist auch kein Eingriff in Eigentumsrechte, wenn private Geräte zu Schulbeginn in einem Schließfach verschlossen werden und erst nach Schulende wieder zur Verfügung stehen. Im Gegenteil. Da das Ablenkungs- und Suchtpotential digitaler Endgeräte und der zugehörigen Dienste mittlerweile belegt sind, gehört es zur Aufsichts- und Schutzpflicht sowie zum Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schulen, ihre minderjährigen Schutzbefohlenen (das sind Schülerinnen und Schüler bis zum 16. Lebensjahr rechtlich), vor Lern- und Unterrichtsverhinderungsapparaten zu bewahren. Lehrkräfte, Eltern und selbst Schülerinnen und Schüler (die Suchtverhalten und Abhängigkeit sehr wohl bemerken), werden es den Verantwortlichen danken, wenn man sie von diesem Suchtmittel zumindest in der Schule und während des Unterrichts befreit.
Der weiße Elefant im Raum
Die Schulleistungen sinken kontinuierlich seit etwa 2010. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien füllen sich nicht erst seit Corona. 2010: Das ist in etwa der Zeitpunkt, zu dem Smartphones der ersten Genration (ab 2007) an Kinder und Jugendliche weitergereicht wurden. Das Einstiegsalter für digitale Netzdienste sinkt seither, die Nutzungsdauer steigt schon bei Kindern, ebenso die psychischen Probleme der Kinder und Jugendlichen. IT-Lobbyisten und Wirtschaftsverbände leugnen jeglichen Zusammenhang vehement. Das seien allenfalls Korrelationen, keine beweisbaren Kausalitäten. Das ist richtig, unterschlägt aber, dass man für den Nachweis einer validen Kausalität (direkte Ursache-Wirkung-Abhängigkeit) Experimente mit Kindern machen müsste, wohl wissend, dass man zumindest einer Gruppe von Probanden schadet. Das wäre zynisch.
Auf der anderen Seite gibt es aus mehr als 40 Jahren Erfahrung mit IT in Schulen und mehr als 15 Jahren Erfahrung mit digitalen Endgeräten im privaten wie schulischen Bereich genug empirisch valide Belege, um die Auswirkungen von Onlinemedien auf das Sozialverhalten und die Psyche von Menschen und soziale Gemeinschaften zu belegen und daraus konkrete Empfehlungen für den Einsatz von IT (und ergänzend: KI) in Schulen abzuleiten, wie in Dänemark, Groß Britannien, Schweden und anderen Ländern … Man muss „nur“ den Kinder- und Jugendschutz wichtiger nehmen als die Partikluarinteressen der IT- und Wirtschaftsverbände und fragen, wem man als Schulträger, Lehrkraft oder Vertreter/in eines Kultusministeriums verpflichtet ist.