Bekanntes als Wiederholung
Kinder und Jugendliche verbringen (wie ihre Eltern) zu viel Zeit am Smartphone. Das bestätigt erneut eine aktuelle Vodafone-Jugendstudie. Zu fragen ist allerdings, warum ein Telekommunikationsanbieter solche Studien finanziert? Die notwendigen Forderungen – verpflichtende Altersgrenzen für Social Media, Einschränkung suchterzeugender Funktionen, Verbot der Profilierung Minderjähriger u.a. als Vorsorge gegen dysfunktionale Bildschirmmediennutzung – hat die Leopoldina bereits in ihrem Arbeitspapier vom August 2025 begründet.
Laut Jugendstudie „Zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation – soziale Medien im Alltag von Jugendlichen“ vom September 2025 (Abruf 23.9.2025) wissen viele Jugendliche selbst, dass ihr Nutzungsverhalten von Smartphone und sozialen Medien problematisch ist. 56 Prozent befragten Jugendlichen würden z.B. soziale Medien gerne weniger nutzen, schaffen es aber nicht. 61 Prozent geben zu, andere Dinge deswegen zu vernachlässigen und 73 Prozent sind länger auf sozialen Medien unterwegs, als ihnen selbst lieb ist. Der Grund ist systembedingt: Die Anbieter von sozial nur genannten Plattformen wie Instagram, TikTok, WhatsApp & Co. setzen gezielt suchtfördernde und verhaltensändernde (persuasive) Techniken ein. Das Interesse der Plattformbetreiber ist dabei klar definiert: möglichst lange Bildschirmzeiten. Die Aufmerksamkeit der „User“ (ein Begriff, der sonst nur im Drogenmilieu üblich ist) und das Sammeln und Auswerten personalisierter Daten sind nun mal die Währungen der Online-Dienste.
Die Mehrheit der befragten Jugendlichen (60 Prozent) befürwortet sogar ein Handyverbot im Schulunterricht oder Klassenzimmer. Sie wissen ja von sich selbst, wie abgelenkt sie durch ihre Geräte sind , selbst wenn diese „nur“ in der Tasche stecken.
34 Prozent der Befragten besuchen Schulen, in denen schon jetzt ein generelles Handyverbot gilt. Bei 41 Prozent der Befragten sie die Nutzung in der Schule zwar erlaubt, aber es gäbe klare Regeln. Nur 7 Prozent besuchen eine Schule ohne Regeln zu privaten Mobilgeräten. Befragt wurden 1.046 deutschsprachige Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren im April und Mai 2025.
Smartphones als Zeitfresser
Smartphonesüchtig sind auch Erwachsene. Gefragt, warum er kein Smartphone habe, antwortete dieser Wissenschaftler, der sich dezidiert mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf menschliches Verhalten befasst, er wisse sehr wohl, dass er in einer zunehmend smarten Umwelt auch ohne Smartphone verfolgt werden könne. Es gehe um mehr:
„Der Hauptpunkt ist, Ablenkungen fernzuhalten. Ich weiß, wie schwierig es ist, den Geist zu kontrollieren, konzentriert zu bleiben. Und außerdem: Die Menschen auf der anderen Seite des Smartphones – die klügsten Menschen der Welt – haben in den vergangenen 20 Jahren gelernt, wie man das menschliche Gehirn durch das Smartphone hacken kann. Denen bin ich nicht gewachsen. Wenn ich gegen die antreten muss, werden sie gewinnen. Also gebe ich ihnen nicht meinen Bildschirm, gewähre ihnen keinen direkten Zugang zu meinem Gehirn.“ (Matthes, 2021)
Diese „klügsten Menschen der Welt“ sind in diesem Fall (Werbe)Psychologen und Verhaltensforscher (Behavioristen), die seit mehr als 120 Jahren an Psycho-Techniken arbeiten und (werbe)psychologische Methoden einsetzen, um menschliches Verhalten zu analysieren, Verhalten zu prognostizieren und letztlich zu steuern. Mathematiker und Informatiker programmieren die entsprechende Algorithmen. An „digitalen Zwillingen“ (personalisierte Datenprofile) wird wahrscheinliches menschliches Verhalten getestet und entsprechend der Persönlichkeitsprofile der User eingesetzt. Jugendliche sind aufgrund ihrer Unbedarftheit, Neugier, und Faszination für neue Techniken eine besonders attraktive und leicht zu beeinflussende Zielgruppe– und haben noch eine lange Konsumbiografie vor sich.
Jugendschutz durch gesetzliche Regeln und Kooperation
Wer glaubt (oder behauptet), diese ausgefeilten wahrnehmungs- und werbepsychologischen Manipulationsmechanismen nach einer entsprechenden „medienpädagogischen Intervention und Schulung“ zu durchschauen und überlisten zu können, glaubt (oder behauptet) auch, „dass Zitronenfalter Zitronen falten“. Die wenigsten Erwachsenen sind in der Lage, die Psychotricks zu durchschauen – und diszipliniert genug, diese Medien konsequent zu meiden.
Die Argumentation der lediglich zu vermittelnden „Medienkompetenz“ ist die gleiche wie beim „begleiteten Trinken“ von Alkohol mit 14 Jahren – statt klar zu formulieren, dass Alkohol auch für Erwachsene ein Nervengift ist und nicht nur bei Kindern und Jugendlichen zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit führen kann. Wie beim Alkohol ist daher nicht nur die Dosis (und Regelmäßigkeit bzw. Steigerung des Konsums), sondern auch das Einstiegsalter entscheidend – und das Angebot von Alternativen. Feiern kann man auch nüchtern, kommunizieren ohne kommerzielle „social media“-Plattformen. (Alternative: Mastodon als eigene Instanz und Administrationsrechten oder Messenger wie Signal oder Threema u.v.m.).
So, wie es im Straßenverkehr Altersvorgaben für Fahrzeuge, Führerscheinklassen und Versicherungspflichten gibt, sollten auch beim Zugang zu kommerziellen Netzdiensten klare Altersregeln, Verhaltensregeln und Verantwortlichkeiten (auch für das eigene Tun!) gelten. Das Netz ist kein rechtsfreier Raum, weder für Anbieter noch für Nutzer.
Eine Selbstbeschränkung der Plattformbetreiber mit ihren Geschäftsmodellen des Überwachungskapitalismus der Tech-Monopole (Shoshana Zuboff) ist nicht zu erwarten. Daher müssen in Europa Wirtschaft, Wissenschaft und Politik konstruktiv für eine verantwortungsvolle Gestaltung und Nutzung digitaler Dienste und Netze zusammenarbeiten, wie es z.B. Tim Berners-Lee mit seinem „Contract for the Web“ (https://contractfortheweb.org/, deutsch: https://contractfortheweb.org/de/252-2/) schon 2019 formuliert hat. Und auch Altersgrenzen festlegen wie für Alkohol, Zigaretten oder z.B. Filme.
Diskussionspapier der Leopoldina
Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Leopoldina hat dazu ein wichtiges und wegweisendes Arbeitspapier erstellt. Die Autorinnen und Autoren der Leopoldina-Studie formulieren dazu konkrete Empfehlungen und fordern unter anderem …,
- dass Kinder unter 13 Jahren keine Social-Media-Accounts einrichten dürfen.
- Für 13- bis 15-jährige Jugendliche sollten soziale Medien nur nach gesetzlich vorgeschriebener elterlicher Zustimmung nutzbar sein.
- Für 13- bis 17-Jährige sollen soziale Netzwerke zudem altersgerecht gestaltet werden –
- beispielsweise bei den algorithmischen Vorschlägen, durch ein Verbot von personalisierter Werbung oder durch die Unterbindung besonders suchterzeugender Funktionen wie Push-Nachrichten und endloses Scrollen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen außerdem, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 nicht zuzulassen.
Würden Eltern, Schulträger und Lehrkräfte zum gleichen Ergebnis kommen und politische Entscheidungsträger entsprechende Regelungen vereinbaren, würden sich vermutlich sowohl Schulleistungen wie Wohlbefinden junger Menschen (wieder) deutlich verbessern – auch wenn Telekommunikationsanbieter, Tech-Firmen und digitalaffine Medienpädagogen das aus Partikularinteressen und Eigennutz verhindern wollen. Aber das sind wirtschaftliche und (macht)politische Interessen und Positionen, keine pädagogischen oder didaktischen Prämissen.
Ralf Lankau, September 2025
Literatur, Links und Quellen
Vodafone-Studie: Zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation (PDF)
Pressemeldung: Jugendstudie zur Nutzung und Selbstregulation von sozialen Medien. Hälfte der Jugendlichen will soziale Medien weniger nutzen, schafft es aber nicht
https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2025/09/PM_Zwischen_Bildschirmzeit_und_Selbstregulation.pdf
heise.de
Jugendstudie zur Social-Media-Nutzung: Gerne weniger, nur wie?
Jugendliche nutzen soziale Medien laut einer neuen Studie mehr, als sie eigentlich wollen. Der Wunsch nach mehr Unterstützung in Schulen sticht hervor
Tagesschau
Regulierung bei Handy-Nutzung Viele Jugendliche wären gerne weniger online
Leopoldina
- Studie zum Download.Diskussionspapier „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ (2025)
- Video mit Ralph Hertwig (YouTube)
- Fokusgruppe Digitalisierung der Leopoldina
Siehe dazu auch (Pädagogische Wende):
Leopoldina fordert Smartphone- und Social Media Verbote an KiTas und Schulen
Verbote und Regelungen bis zum 17. Lebensjahr gefordert
Am 13.August 2025 veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands (Leopoldina) eine Studie mit Empfehlungen zu Regelungen zu Social Media und Smartphoneverboten an KiTas und Schulen.
Matthes, Sebastian (2021) Sie haben gelernt, unser Gehirn zu hacken, Interview mit dem Historiker Yuval Noah Harari; in: Handelsblatt vom 30. Dezember 2021 bis 2. Januar 2022, Nr. 253, S. 16-18 (12.6.2023)